Die Nachricht kam aus heiterem Himmel und traf nicht nur die Beschäftigten, sondern eine ganze Region mit voller Wucht: Vor zehn Jahren, am 7. Juni 2005, teilte der Electrolux-Konzern mit, eine Schließung des Nürnberger AEG-Werks zu prüfen. Mit absehbarem Ausgang: Ein halbes Jahr später folgte die endgültige Entscheidung, das traditionsreiche Stammwerk abzuwickeln. Damit verschwand nur wenige Jahre nach Grundig ein weiterer Industriegigant aus Nürnberg, der Versandhändler Quelle als großer Arbeitgeber sollte bald folgen. Inzwischen ist die Verzweiflung verschwunden und einem weitgehend positiven Fazit gewichen.
„Man kann es nicht völlig schönmalen. Aber es hätte auch viel schlimmer kommen können“, bilanziert etwa Maike Müller-Klier von der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Glücklicherweise habe sich die Wirtschaft seither gut entwickelt und dadurch den Verlust der vielen Arbeitsplätze zu einem Gutteil auffangen können. Insgesamt habe die traditionelle Industriehochburg Nürnberg den Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft inzwischen gut bewältigt. „Aus unserer Sicht stehen wir im Moment sehr gut da.“
Brennende Ölfässer gegen Kälte
Das sieht auch Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) so. Er weist darauf hin, dass selbst in der Zeit der Hiobsbotschaften kein Grund zur Schwarzmalerei bestand. „Der Wirtschaftsraum war ja nicht schwach!“ Allerdings sei durch die Berichterstattung über die „einzelnen Schockereignisse“ das Image einer durch und durch krisengebeutelten Region entstanden, das bis heute nachwirke.
Das ist kein Wunder: Allein der verzweifelte Kampf der AEG-Mitarbeiter, die sich mit einem Streik gegen die Schließung ihres profitablen Werkes wehrten und bei bitterer Kälte vor brennenden Ölfässern ausharrten, dominierte wochenlang die Schlagzeilen. 1750 Mitarbeiter verloren damals ihren Job, manche sind noch heute auf Suche. „Es hat sich aber wesentlich weniger auf die Arbeitslosigkeit ausgewirkt, als man es befürchtet hat“, schildert der Sprecher der Nürnberger Arbeitsagentur, Matthias Klar.
Auch die anderen Großpleiten hatten keine allzu großen Ausschläge zur Folge, obwohl allein durch die Quelle-Insolvenz rund 10 000 Menschen ihre Stelle verloren. Dennoch hat Nürnberg heute neben Weiden die höchste Erwerbslosigkeit in Bayern. Während der Landesschnitt zuletzt gerade einmal 3,7 Prozent betrug, lag die Arbeitslosenquote in der Stadt Nürnberg bei 7,4 Prozent.
Hinter dieser hohen Zahl verbirgt sich aber ein differenziertes Bild. Denn der Arbeitsmarkt in der Region – also in Erlangen, Fürth, Nürnberg, Herzogenaurach sowie den umliegenden Städtchen – ist sehr eng verknüpft, viele Menschen pendeln. Betrachtet man das Gesamtbild, ist die Lage bei weitem nicht so schlecht.
Und selbst Nürnberg für sich genommen steht im bundesweiten Vergleich der Halb-Millionen-Großstädte sehr gut da. „Nürnberg hat kein Wirtschaftsproblem, uns fehlen keine Arbeitsplätze“, betont Klar. Das klingt angesichts von mehr als 20 000 Jobsuchern nach einem Paradox. Doch Klar erklärt: „Wir haben auf der einen Seite sehr viele Arbeitsplätze, aber auf der anderen Seite auch sehr viele Unqualifizierte – das passt einfach nicht zusammen.“
Die unqualifizierten Jobsucher stammen zu einem Gutteil tatsächlich noch aus den Pleiten der Großbetriebe. Wer damals etwa als Helfer gearbeitet hatte, fand oftmals nichts Neues mehr, blieb aber natürlich in Nürnberg wohnen und wird dort als Jobsucher registriert.
Die Fürther Straße als Hotspot
Alles in allem bescheinigen die Experten der Region aber, den Strukturwandel gut bewältigt zu haben: Waren in den 1970er Jahren noch 60 Prozent der Beschäftigten in der Industrie tätig, ist es heute nur noch ein Drittel. Unternehmen wie Schaeffler, MAN, Diehl oder Leoni sind weiterhin auf dem Weltmarkt erfolgreich, daneben sind aber auch große Dienstleistungsunternehmen wie GfK oder Datev entstanden. Generell ist die Wirtschaft in der Region aber kleinteilig-mittelständischer und damit krisenfester geworden.
Zehn Jahre nach dem AEG-Schock bilanziert OB Maly deshalb: „Die Fürther Straße – dort waren Quelle, AEG, Triumph Adler – ist ein Hotspot des Strukturwandels, der zweierlei deutlich macht: Erstens, dieser Wandel hört nie auf, es kann uns immer wieder erwischen. Und zweitens, es ist am Ende nie nur Depression – aus diesen Ruinen kann durchaus auch wieder etwas Kreatives, Neues entstehen.“