Wer sich als Kind je die Nase an einer Schaufensterscheibe platt gedrückt hat, hat den Zauber gespürt. Die Verheißung einer schillernden Welt hinter der Fassade – den Zauber des Warenhauses. Heute eilen die Menschen zwar an Karstadt & Co vorbei und bedenken die Auslage eher mit einem mitleidigen Blick, als mit einem begehrlichen. Doch früher war das anders: Damals stand das Warenhaus nicht für Durchschnittsware. Es war eine Wunderkammer.
Karstadt und Kaufhof, Hertie und Horten oder auch Wertheim repräsentierten in Deutschland eine schöne, neue Welt. „Wenn man heute in einer Familie hört: Wir gehen zu Wertheim“, soll der spätere Reichskanzler Gustav Stresemann 1900 erklärt haben, „so heißt das nicht in erster Linie, wir brauchen irgendetwas besonders notwendig für unsere Wirtschaft, sondern man spricht von einem Ausfluge, den man etwa nach irgendeinem schönen Orte der Umgebung macht.“
Die Familie Wertheim war hierzulande ein Pionier: 1852 öffneten die Brüder Abraham und Theodor Wertheim ihr erstes Manufactur- und Modefachgeschäft in Stralsund. Auf dieser Grundlage schufen Abrahams Söhne den Handelskonzern – das erste Wertheim-Warenhaus gab es 1890 in Berlin. Einige Jahre zuvor, 1881, wurde Karstadt gegründet.
Die Marke Wertheim gibt es heute nicht mehr – über die Zukunft der angeschlagenen Kette Karstadt will der Aufsichtsrat demnächst entscheiden. „Früher waren Warenhäuser sehr stark emotional verbunden mit Konsumtempeln“, sagt Handelsexperte Jörg Funder von der Fachhochschule Worms. Das sei heute nicht mehr der Fall.
Das Aufblühen der Kaufparadiese Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Gründe – die Industrialisierung war damals in vollem Gange. „Es wurden zum ersten Mal Produkte in größerem Maße gefertigt“, erklärt Birgit Adam, die ein Buch über die Geschichte des Warenhauses geschrieben hat. „Das war die Grundlage für Geschäfte, die das Ganze verkaufen konnten.“ Hinzu kam demnach der Import neuer Produkte aus anderen Ländern. „Die Warenhäuser waren die Fläche, um das auszustellen, was es überall auf der Welt an Luxusgütern gab.“
Die neuste Mode aus Paris oder exotische Früchte – das war neu und aufregend. Doch nicht nur das Innenleben der riesigen Konsumkammern faszinierte die Menschen: Warenhäuser prägten auch architektonisch das Aussehen vieler westdeutscher Innenstädte – zum Beispiel über die berühmte „Horten-Kachel“ des Designers Egon Eiermann.
„Es war schon ein Anziehungspunkt“, erklärt Adam. „Dadurch, dass sie sehr groß waren, hatten sie auch große Schaufenster, die entsprechend beleuchtet waren.“ Warenhäuser waren damit nicht nur das Symbol des Wirtschaftswunders. Sie waren das Symbol einer Konsumgesellschaft. Die Verkaufsfläche erreicht dem Handelsverband zufolge noch heute in Einzelfällen mehr als 30 000 Quadratmeter. „Es zeichnet sich durch gleichzeitige Sortimentsbreite und Sortimentstiefe aus nach dem Prinzip: alles unter einem Dach“, erklärt ein Sprecher. Etwas von der einstigen Faszination lassen zwar die Luxuskaufhäuser KaDeWe in Berlin, Alsterhaus in Hamburg und Oberpollinger in München ahnen, die Karstadt-Käufer René Benko vor gut einem Jahr über seine Signa-Gruppe übernommen hat. In Kauf- und Warenhäuser zieht es die Menschen aber immer seltener: Lag ihr Umsatzanteil am Handel 1980 immerhin noch bei sechs Prozent, schrumpfte er zuletzt auf 2,6 Prozent, wie das Institut für Handelsforschung in Köln ausgerechnet hat. Doch was nahm der Warenwunderwelt den Glanz? Vor allem ab Mitte der 1960er Jahre gab es nach Erkenntnissen des Handelsverbands zunehmend Probleme. Ein Grund waren neue Fachgeschäfte, die sich auf Waren spezialisiert hatten – und davon entsprechend mehr und zu günstigeren Preisen anbieten konnten. Hinzu kommt der Internethandel, der auch anderen Einzelhändlern das Wasser abgräbt. Experte Funder sieht gleich mehrere Baustellen: Sowohl bei Sortiment, Preis, Image als auch beim Service habe das Warenhaus zuletzt Nachteile gehabt.
Als große Warenhausketten bestehen heute in Deutschland nur noch Karstadt und der zur Metro AG gehörende Kaufhof. Spekulationen um eine Fusion der beiden zu einer Deutschen Warenhaus AG gibt es schon länger. Auch Handelsexperte Funder glaubt, dass sich letztlich ein großes Warenhaus durchsetzen wird. Dass es ganz verschwindet, glaubt er nicht. „Es ist Teil unserer Handelskultur.“
Auslaufmodell Kaufhaus
Fast zwei Drittel der Bundesbürger kaufen einer Umfrage zufolge nur noch selten in Warenhäusern ein, jeder zehnte nie. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zur Zukunft der Warenhäuser hervor. Nur noch jeder vierte Befragte geht demnach noch regelmäßig zum Shoppen zu Karstadt, Kaufhof und Co.
Vor allem junge Leute zwischen 18 und 24 Jahren machen der Umfrage zufolge einen Bogen um die Einkaufstempel. Mehr als 80 Prozent von ihnen gaben an, selten oder nie in Warenhäusern einzukaufen. Am häufigsten sind dort demnach noch die über 55-Jährigen zu finden. Frauen finden generell an den Kaufhäusern mit ihrem umfangreichen Modeangebot mehr Gefallen als Männer. Für die Umfrage hatte YouGov 1023 Verbraucher befragt. Text: dpa