Die Zahlen sind erschütternd: 690 Millionen Menschen auf der Welt hungern, alle fünf Sekunden stirbt daran ein Kind unter fünf Jahren. Die Welthungerhilfe will das ändern – mit digitaler Technik. Das Ziel: 80 Millionen Kinderleben retten. Die Fäden dafür laufen bei einem IT-Tüftler in Würzburg zusammen.
Markus Matiaschek steht mit seinem Jungunternehmen kurz vor dem Ziel: Im würfelförmigen "Cube" des Zentrums für digitale Innovationen (ZDI) im Stadtteil Hubland arbeitet der 38-Jährige am Feinschliff der Smartphone-App "Child Growth Monitor". Sie soll heuer nach drei Jahren Entwicklung und mehrmonatigen Tests flächendeckend eingesetzt werden, um mit wenigen Handgriffen zuverlässig festzustellen, ob Kinder mangel- oder unterernährt sind.
Das sei mit den bisherigen Untersuchungsmethoden oft schlecht möglich, sagt der gebürtige Schweinfurter. Matiascheks App arbeitet mit Künstlicher Intelligenz, macht sich also mit den Daten aus jeder neuen Messung automatisch Stück für Stück schlauer und genauer.
Der Prototyp der App ist derzeit in Indien im Einsatz. Matiaschek versucht derweil mit seinem kleinen Unternehmen in Würzburg, die Behördenzulassung des digitalen Instruments als medizinisches Produkt zu bekommen. Das erleichtere dann die offizielle Verwendung in ausgewählten Ländern.
Wie der Child Growth Monitor funktioniert
Der Child Growth Monitor scannt binnen weniger Minuten per Video ein Kind von vorne, hinten und im 360-Grad-Modus. Mit Hilfe des Infrarot-Sensors im Gerät können laut Matiaschek vor allem das Gewicht des Kindes (auf 200 Gramm genau), seine Körpermaße sowie die für Unterernährung typischen Ödeme erfasst werden. Anhand dieser Daten sei später ein Arzt in der Lage, die weiteren Schritte einzuleiten.
Die mit quelloffener Software gebaute App sei genauer als bisherige Methoden und lege den Standard der Weltgesundheitsorganisation WHO bei Merkmalen von Unterernährung zugrunde, betont Matiaschek. Zum Beispiel in Indien würden Kinder immer noch mit Hilfe einfacher Holzlatten und Waagen gemessen, verborgene Folgen des Hungers blieben dabei zu oft unerkannt.
Auf die Idee mit der App stieß Matiaschek 2017, als er auf einem Kongress der Welthungerhilfe in Indien war. Damals sei die Frage aufgekommen, wie digitale Helfer zur Bekämpfung von Unterernährung eingesetzt werden können. Hintergrund einst wie heute: Die Vereinten Nationen wollen bis 2030 Hunger und Armut in der Welt überwunden haben.
Der Würzburger Tüftler nahm die Herausforderung an, weil er schon damals von der Tragweite der Künstlichen Intelligenz überzeugt war. Kein Wunder, denn schon im zarten Alter von zehn Jahren hat Matiaschek nach eigenen Worten mit dem Programmieren angefangen. 2002 ließ er sich zum Fachinformatiker ausbilden, verdiente sich später auf einer Südamerika-Reise mit IT-Programmen ein bisschen was dazu und gründete schließlich in Costa Rica eine kleine Firma für SAP-Beratung.
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Nachdem es ihn nach Mainfranken zurück gezogen hatte, arbeitete er einige Jahre als IT-Berater für eine Würzburger Firma. Bis er auf die Welthungerhilfe stieß, bei der er heute für den Child Growth Monitor angestellt ist. Parallel dazu hat er ein kleines Entwicklungsbüro im ZDI in Würzburg. 15 IT-Profis in aller Welt arbeiten ihm freiberuflich bei der App zu.
Eine Million Euro habe bislang deren Entwicklung verschlungen, so Matiaschek. Finanziert werde das unter anderem über Spenden an die Welthungerhilfe. Unter Berufung auf die Bonner Organisation hat Matiaschek 39 Länder im Auge, in denen Unterernährung bei Millionen von Kindern ein drängendes Thema ist und für die der Child Growth Monitor mittelfristig prädestiniert sei.
Die App läuft im Moment nur auf Smartphones mit Android, weil dieses Betriebssystem laut Matiaschek in ärmeren Ländern häufiger verbreitet sei als jenes der iPhones. Die Zulassung für die mobilen Geräte des Apple-Konzerns werde mittelfristig aber angestrebt.
Wer den Child Growth Monitor einsetzen kann
Zunächst ist laut Matiaschek vorgesehen, den Child Growth Monitor im Echtbetrieb Mitarbeitern von Hilfsorganisationen an die Hand zu geben. Danach sieht er für sich die nächste Aufgabe: Die App solle früher oder später auch Eltern überlassen werden, um ihre Kinder selbst zu scannen. Die Herausforderung dabei: Der Child Growth Monitor muss selbst für Menschen einsetzbar sein, die nicht lesen können.
Dass Matiaschek drauf und dran ist, der Welt bei einem ihrer großen Probleme zum Durchbruch zu verhelfen, treibt ihn nach Jahren der Entwicklung immer noch an. Wirtschaftlicher Erfolg seines sozial ausgerichteten Kleinunternehmens sei zwar anzustreben. Aber viel mehr auch nicht. Denn dass er irgendwann vielleicht eine Auszeichnung für den Child Growth Monitor bekommt, "das ist mir nicht so wichtig".