Ein Flusskreuzfahrtschiff schiebt sich gemächlich dem Willy-Brandt-Kai oberhalb der Löwenbrücke entgegen. Zwei Männer an Deck hantieren mit dicken Befestigungstauen. Der schiffseigene Kran hievt die Gangway in die Luft und positioniert sie schließlich als Verbindung zwischen Cruiser und Festland. Vor Anker liegt die 135 Meter lange MS Avalon Vista des US-amerikanischen Reiseveranstalters Avalon Waterways. Sie ist eines von rund 1070 Flusskreuzfahrtschiffen, die im vergangenen Jahr in Würzburg Halt machten – 2015 wurde erstmals die Tausendermarke überschritten.
„Die Flusskreuzschifffahrt ist zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor für Würzburg herangewachsen“, sagt Peter Oettinger, Tourismus-Direktor der Stadt. Sie sorgte seinen Schätzungen nach 2015 für rund 140 000 zusätzliche zahlungskräftige Touristen.
Auch wenn durch diese keine Einnahmen für Übernachtungen oder Hauptmahlzeiten entstünden, gelte es, das Einkaufsverhalten der Schiffsgäste zu kalkulieren: „Wenn wir niedrig ansetzen und davon ausgehen, dass pro Kopf 20 Euro für Snacks, Getränke, Souvenirs und sonstige Einkäufe ausgegeben werden, kommen wir bereits auf eine Summe von 2,8 Millionen Euro.“
Zudem entstünden zahlreiche Aufträge für Busunternehmer und Touristenführer. „Pro Schiff werden vier, fünf Reisebusse und mit ihnen jeweils ein Guide benötigt“, erklärt Oettinger. Das ergebe bei rund 1000 Schiffen etwa 4000 Bus- und Gästeführereinsätze pro Jahr. Nicht zu unterschätzen sei auch die Summe an Eintrittsgeldern, die für die Besichtigungen der Sehenswürdigkeiten entrichtet würden.
Relevante Branche
„Seit der Fertigstellung des Main-Donau-Kanals 1993 legen in Würzburg jedes Jahr mehr Kabinenfahrgastschiffe an“, weiß Friedhelm Sodenkamp, Geschäftsführer der Würzburger Hafen GmbH (WHG): „Würzburg hat die Relevanz der Flusskreuzschifffahrt früh erkannt und sich gut aufgestellt.“ Mittlerweile können hier bis zu neun Cruiser gleichzeitig an insgesamt sieben Liegestellen vor Anker gehen: an der Löwenbrücke, im Alten Hafen und etwas weiter den Main abwärts folgend im Flusshafen.
Lukrative Dienstleistungen
Die WHG betreibt diese Anlegestellen. Ein lukratives Geschäft: Während der Liegezeiten ist sie für die Versorgung der Schiffe mit Strom und Trinkwasser sowie für die Koordination der Abfallentsorgung zuständig. Die in Würzburg Halt machenden Cruiser verpflichten sich, neben der Liegegebühr auch diese kostenpflichtigen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
Einer, der das Geschäft mit den Flusskreuzern früh gewittert hat, ist Karl-Heinz Pfaff. 1993 war er einer der Ersten, der sich auf die Betreuung der Schiffsgäste in Würzburg spezialisierte. „Damals waren das nur etwa zehn Schiffe pro Jahr – heute sind es vier bis fünf pro Tag“, lacht Pfaff. Der selbstständige Unternehmer organisiert für seine Kunden Stadtführungen, je nach Anfrage in Würzburg oder auch in nahegelegenen Städten, beispielsweise in Rothenburg ob der Tauber. Er vermittelt Bustransporte, zudem auch mal eine Weinprobe im Staatlichen Hofkeller unter der Residenz oder ein Unterhaltungsprogramm an Bord. „Das Angebot ist abhängig von der Dauer, die sich die Schiffe in der Stadt aufhalten, in der Regel sind das vier bis zehn Stunden“, erläutert Pfaff.
Seine Kunden sind ausländische Reiseveranstalter mit englischsprachigem Klientel – der Großteil der in Würzburg ankommenden Fahrgäste sind Amerikaner, dann kommen die Australier. Um dem Bedarf gerecht zu werden, arbeitet er mit freien Mitarbeitern zusammen.
Stadt investiert weiter
Er ist lange nicht mehr der einzige Anbieter: „Mittlerweile gibt es mehrere Agenturen, die sich auf die Betreuung der Kreuzfahrt-Reisenden spezialisiert haben und es ist genug Arbeit für alle da.“ „Die Flusskreuzschifffahrt in Europa allgemein erlebt einen Boom“, begründet Benjamin Krumpen, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses Schiff im Deutschen ReiseVerband (DRV), die steigenden Zahlen. 2014 waren 1,1 Millionen Passagiere auf den europäischen Wasserstraßen unterwegs – ein Drittel mehr als im Vorjahr. Den Hauptgrund für diese Entwicklung sieht Krumpen in den politischen Spannungen, die in den Flusskreuzfahrt-Destinationen Ägypten, Russland und der Ukraine anhalten: „Einbrechende Buchungszahlen für Reisen auf Nil, Don, Wolga und Dnjepr fangen die Veranstalter durch mitteleuropäische Ziele auf.“
Hoch frequentierte Route
Deutschland profitiere als Reiseziel: Als sicheres Reiseland werde es für Schiffstouristen aus Übersee immer interessanter. Eine Entwicklung, die Krumpen auch für den Main bestätigen kann: „Für die Veranstalter ist der Main wichtig, da er eine Etappe auf der hoch frequentierten Route von Amsterdam nach Budapest bildet.“ Wie es mit der Flusskreuzschifffahrt auf Deutschlands Flüssen weitergehen wird, das könne niemand sicher vorhersagen. „Aber die Werften melden immer noch Bestellungen für den Bau neuer Schiffe“, sagt Krumpen. Die Stadt Würzburg jedenfalls investiert weiter in ihre Anlegestellen: Für dieses Jahr ist die Modernisierung der Liegestelle oberhalb der Löwenbrücke geplant. Laut Tourismus-Direktor Oettinger könne für die Zukunft auch die Installation weiterer Anlegestellen nicht ausgeschlossen werden: „Wenn der Bedarf da ist und die Entwicklung weitergehen soll, dann geht es nur mit zusätzlichen Anlegestellen.“
Unbekanntes Würzburg
Am Willy-Brandt-Kai kehren derweil die ersten Passagiere vom Landgang zurück zur MS Avalon Vista. Eine Stadtführung und die Besichtigung der Residenz standen auf dem Programm. Eric, ein 20-jähriger Mann aus den USA, begleitet seine Großeltern auf ihrer Europatour. Er hatte zuvor, wie übrigens ein Großteil der Gäste aus Übersee, noch nie etwas von Würzburg gehört. Umso überwältigter zeigt er sich von der Stadt und vor allem der Residenz: „Solch eine beeindruckende Architektur habe ich auf der Reise bisher noch nicht gesehen.“
Jim und Susan, ein kanadisches Ehepaar, beide um die 60 Jahre alt, gönnten sich einen Abstecher in eine von Würzburgs Gaststätten: „Wir lieben den Prosecco und das Bier aus Deutschland.“ Der Kran hievt die Gangway wieder an Bord. Zwei Männer an Deck holen die Befestigungstaue ein. Langsam schiebt sich die MS Avalon Vista flussaufwärts. Am Kai ist nun wieder Platz für den nächsten Flusskreuzer.