Mein Schreiner trägt sie, die Angestellten meines Schlossers ebenfalls: Auch meine Nachbarn in Hettstadt (Lkr. Würzburg) laufen seit einiger Zeit in Arbeitsklamotten der Firma Engelbert Strauss aus Biebergemünd (Main-Kinzig-Kreis) herum, der Gerüstbauer ebenso wie der Verputzer. Auch die Kids in einem Würzburger Waldkindergarten sind voll stolz auf die Shirts, Shorts und Käppis mit dem Strauß drauf, erzählt mir die Waldkindergärtnerin. Das Emblem mit weißem Wappentier auf rotem Grund prangt vom linken Hosenbein oder Jackenärmel. Die Klamotten von und mit Strauss gelten als robust und cool, ja als sexy.
Blaumänner? Die Latzhose in strahlendem royalblau gibt es noch. Doch der Klassiker ist wie eine kleine Welle im Ozean der „workwear Kollektionen“ von Strauss. Wer sich einen Überblick verschafft hat – classic, image, active, motion, prestige, roughtough, vsion – der begreift: Die Firma aus dem verträumten Spessartstädtchen an der Autobahn A 66 rund 50 Kilometer nordöstlich von Frankfurt verkauft mehr als Bekleidung, Arbeitsschutz, Schuhe, Socken, Betriebs- und Bürobedarf für alle, wirklich alle aus der Hand- und Heimwerkerszene.
Strauss verkauft Trendkleidung in Trendfarben, und obendrein Trendbewusstsein, Work-Life-Balance, Lebensgefühl, Freude an der Arbeit beziehungsweise „enjoy work“, denn vieles in dem 1000 Seiten starken Hauptkatalog verkauft sich offenbar auf Denglisch (Deutsch mit Englisch) besser. Auch Fleischer und Feinkostverkäufer bekommen hier ihre eigene Kollektion präsentiert, laut Strauss-Werbung mit erlesenen Ausstattungsdetails und elastischen Materialien, sportlich geschnitten und inklusive „easyfit-Climate-Belüftungsschlitzen“.
Sportliches Design, Funktionen und Details aus dem Sportbereich stehen bereits bei der Entwicklung neuer Kollektionen im Fokus, erklärt Marketingleiter Karl-Heinz Brenner. Damit ist Engelbert Strauss selbst für so arrivierte Outdoorspezialisten wie Jack Wolfskin und Vaude zum Konkurrenten geworden. Auch deswegen, weil Strauss als Direktversender oft die günstigere Wahl ist für Menschen, die sich mit Funktionsjacken und festen Stiefeln für die Abenteuer des Alltags wappnen wollen. Strauss hat längst das Trendgeschäft mit Hikern, Trekkern und Backpackern entdeckt. Der Erfolg gibt den Strategen in Biebergemünd recht.
Vor zehn Jahren beschäftigte das Familienunternehmen rund 300 Mitarbeiter, heute sind es 1100. Die baumarktgroßen Ladengeschäfte, Workwearstores genannt, am Stammsitz im Main-Kinzig-Kreis, in Hockenheim, am Rand von München und bald in Oberhausen im Ruhrgebiet sind zu Pilgerstätten für Heim- und Handwerker geworden. Strauss macht Werbung im Kino und war beim DFB-Pokalfinale in Berlin einer von sechs Hauptsponsoren, auf einer Höhe mit den Dax-Konzernen VW, Conti und Deutsche Post. Strauss verdient viel Geld, das signalisiert der neue „Unternehmenscampus“ aus Glas und Backstein, den die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Henning und Steffen Strauß an der A 66 haben bauen lassen. Das Unternehmen leistet sich im übrigen auch einen Sozialbericht, der den Code of Conduct erläutert, den Verhaltenskodex für Lieferanten, die man vorwiegend in Laos, Vietnam und Bangladesch findet. Ob das Unternehmen im Geld schwimmt, will man nicht sagen. Auch beim Umsatz lässt man sich nur ein klein wenig in die Karten schauen. Zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro soll er liegen, heißt es in Medienberichten. Das Blättern im Katalog macht den Erfolg plausibel: Engelbert Strauss hat eine Strategie und trifft offensichtlich den Geschmack des Publikums.
Hand- und Heimwerker wollen ganz offensichtlich nicht mehr in Uni-Royalblau an der Baustelle aufkreuzen. Auch tragen Köche und Mediziner heute nicht mehr automatisch Weiß, Gärtner nicht mehr Grün und Schreiner nicht zwangsläufig Braun. Der Strauss-Katalog trägt dem Rechnung. Rund 30 000 Artikel sind gelistet, die Vielfalt von Farben, Materialien, Modellen und (meist engen) Schnitten macht ein wenig ratlos. Neben Merkmalen wie Langlebigkeit, Robustheit und Bewegungsfreiheit für den Träger wird Wert auf den „Look“ gelegt. Schnittige Models machen die Berufsbekleidung mit dem Strauss-Logo attraktiv und auch sexy. Und solche Klamotten kommen an in einem Land mit Tausenden Baumärkten und Gartencentern und Millionen Heimwerkern, Wochenendgärtnern und Hobby-Holzfällern. Sie alle sehnen sich doch nach dem passenden und möglichst professionellen Outfit für diese wichtigen und potenziell gefährlichen Tätigkeiten. Hier die dehnbare Schnittschutzeinlage, dort die Stahlkappen zum Schutz der Zehen. Fast in keiner Hose fehlt übrigens die Tasche für den Zollstock, manchmal gibt es deren zwei. Damit Linkshänder nicht benachteiligt sind.