Die Börsen sind nervös: Nach dem steilen Höhenflug von einem Rekord zum anderen wird die Luft allmählich dünn. Ein nicht ganz klares Statement von US-Notenbankchef Ben Bernanke zur Geldpolitik und schwache Konjunkturdaten aus China schicken die Kurse weltweit auf Talfahrt. Anleger fragen sich: Geht es nach der Delle wieder bergauf oder ist die Trendwende eingeläutet?
Mit seinen Aussagen zur Geldpolitik hat US-Notenbankchef Ben Bernanke Anleger verunsichert. Zunächst reagierten die Börsen begeistert, weil Bernanke am Mittwoch eine weiterhin lockere Geldpolitik andeutete: „Ein voreiliges Ende oder eine Straffung birgt das Risiko, die wirtschaftliche Erholung abzuwürgen.“ Doch die Ernüchterung folgte sofort. Denn Bernanke schloss ein geringeres Tempo bei den Anleihekäufen nicht aus. „Er hat zwar sein Bekenntnis zum Gelddrucken erneuert, doch die Hintertürchen für die Notenbanker gehen langsam auf“, erklärte Börsenexpertin Sarah Brylewski das Wechselbad der Gefühle bei den Investoren.
Die Kurskorrektur in Tokio hängt vor allem mit enttäuschenden Konjunkturdaten für China zusammen. Der von der Großbank HSBC erhobene Einkaufsmanagerindex für China ist im Mai erstmals seit mehr als einem halben Jahr unter die Wachstumsschwelle gesunken. Das deutet darauf hin, dass die Industrie in China geschrumpft sein könnte – mit Folgen für die Weltkonjunktur.
Sie fallen zumindest ziemlich heftig aus. Der deutsche Leitindex DAX schloss am Donnerstag fast 180 Punkte niedriger als am Mittwoch. „Nach den schlechten Daten aus China kommt Angst auf. Dass schon eine geringe Abweichung vom erwarteten Wert für so deutliche Kurskorrekturen sorgt, zeigt: Der Markt ist überhitzt“, sagt Helaba-Experte Markus Reinwand. Wer in der jüngsten Kursrallye früh eingestiegen sei, denke nun bei enttäuschenden Konjunkturzahlen schnell daran, auszusteigen und Gewinne mitzunehmen.
Das kann niemand seriös vorhersagen. Fakt ist: Die Geldflut der Notenbanken ist ein wichtiger Grund für die Kursrallye der vergangenen Wochen und Monate. Auch wenn einige Notenbanker in den USA nun die Bremse anvisieren: An einen raschen Ausstieg ist derzeit weder bei der Fed noch bei der EZB in Frankfurt zu denken. Im Gegenteil: „Die hohe Liquidität weltweit wird im laufenden Jahr noch steigen“, ist Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Landesbank Bremen, überzeugt. Denn die Bank of Japan wolle monatlich 57 Milliarden US-Dollar in den Markt pumpen. Wenn die Fed ihr Programm von monatlich 85 Milliarden Dollar tatsächlich zurückfahre, würde das allmählich geschehen: „Das Exit-Thema der Fed wird vom Markt wie ein Sturm behandelt. Tatsächlich ist es nur ein Sturm im Wasserglas.“
Damit rechnen Experten nicht. Hellmeyer sieht eine Kurskorrektur, um die rasanten Anstiege zu verdauen. Er erwartet keinen Richtungswechsel, sondern hält einen DAX-Stand von 8700 Punkten zum Jahresende weiter für realistisch. Angesichts der mauen Konjunktur – der Euroraum steckt in der Rezession – dürften die Leitzinsen jedenfalls noch lange extrem niedrig bleiben. Mit der Folge, dass Sparbuch oder Tagesgeld so gut wie nichts abwerfen. Den Investoren fehlen also Alternativen.
Weitere Kurssprünge nach oben erwartet die DZ-Bank erst, wenn die Gewinne der Unternehmen und die Konjunktur wieder anziehen. Helaba-Analyst Reinwand gibt zu bedenken, dass Aktien mit ihrem Anstieg seit der zweiten Jahreshälfte 2012 ihre massive Unterbewertung abgebaut haben: „Damit ist die beste Phase für Aktien bereits vorbei. Sie sind nicht mehr so billig, dass man bedenkenlos zugreifen kann.“ Für nachhaltige Kurssteigerungen müssten sich nun die Ertragsperspektiven der Unternehmen aufhellen. Auch aus Sicht der Hessischen Landesbank ist das Potenzial für Aktien vorerst ausgeschöpft, massive Kursverluste seien aber nicht zu befürchten.