Rothaarige Frauen sind feuriger, Schwule können kein Fußball spielen und in Hamburg ist meistens schlechtes Wetter. Tagelang sorgte die Kampagne „Umparken im Kopf“ mit gängigen Vorurteilen und ihrer Widerlegung für Aufsehen. Im Netz wurde fleißig gerätselt: Wer steckt wohl dahinter? Mittlerweile ist klar: der Autobauer Opel. Der will mit der ungewöhnlichen Aktion Vorbehalten gegenüber der eigenen Marke ein Ende setzen - und ist zugleich ein Beispiel dafür, wie man Werbung zum Selbstläufer macht.
„Solche Werbeformen geben einen Vorgeschmack auf das, was in einigen Jahren Standard sein wird“, sagt Medienwissenschaftler Guido Zurstiege von der Universität Tübingen. „Nämlich sinnstiftende Angebote.“ Sprich: Werbung, die Menschen ganz anders mitreißt als der klassische TV-Spot. „Die ganze Form zitiert Werbung und bricht mit unseren Erwartungen“, erklärt Zustiege.
Anders als der herkömmliche Zehn-Sekünder im Fernsehen werde sie von potenziellen Kunden aus eigenem Antrieb angeschaut - und im besten Fall sogar weiterempfohlen. Fachleute sprechen dabei auch von viralem Marketing. Dabei wird Werbung so platziert, dass sie zum Selbstläufer wird und sich wie ein Virus rasend schnell verbreitet. Der Vorteil: Unternehmen müssen in die Bekanntmachung vergleichsweise wenig Geld investieren.
Auch der Lebensmittelhändler Edeka hat das mit seinem Video „Supergeil“ geschafft. Der Clip mit dem Künstler Friedrich Liechtenstein verbreitete sich binnen weniger Tage wie ein Lauffeuer im Netz. Mittlerweile wurde er bei Youtube fast sechs Millionen Mal angeklickt, sogar Nachahmer-Videos kursieren bereits im Internet - und auch im Ausland gab es Medienberichte über den Spot. Was den so besonders macht? „Bei “Supergeil“ ist es wohl gute Musik mit gutem Testimonial und coolem Video“, erklärt Johannes Pfau von der Werbeagentur Jung von Matt, die die Idee dazu hatte. „Testimonal“ ist Werber-Fachjargon dafür, dass sich jemand in einem Spot oder einer Anzeige persönlich für etwas ausspricht. „“Supergeil“ steckt zudem voller Ironie. Das kommt gut an.“ Musiker Liechtenstein besingt mit rauchiger Stimme die Produkte von Edeka („Ich find's supergeil, supergeil“) und badet in der Milch des Supermarkts. Anders als bei Opel weiß der Zuschauer hier allerdings sofort, wer hinter dem Video steckt. „Wenn wir sofort gesagt hätten, das ist von Opel, dann hätten viele vielleicht gleich wieder abgeschaltet“, erklärt ein Sprecher des Autobauers. „Wir möchten eine Wende im Kopf bei potenziellen Kunden erzeugen, haben allerdings gemerkt, dass wir diese Personen mit der klassischen Werbung nur bedingt erreichen.“
Im Netz, aber auch über Plakate und Anzeigen, veröffentlichte Opel dazu tagelang Vorurteile - und strafte sie postwendend Lügen. Prominente wie Schauspielerin Karoline Herfurth erzählten zudem in kurzen Videos von ihren eigenen Erfahrungen mit Vorurteilen.
Auf den Reiz des Geheimnisvollen setzte zuvor beispielsweise die Zigarettenmarke Marlboro mit ihrer Werbekampagne „Don't be a Maybe“. Auf den Plakaten war von der Marke lange nicht die Rede - was Marlboro noch mehr Aufmerksamkeit brachte. Ein Gericht sprach der Werbung später sogar so große Wirkung zu, dass sie Jugendliche zum Rauchen verführen könne - und verbot sie daher.
Eines haben virale Werbeformen allerdings gemeinsam: „Die Produkte und die Marke sind zwar ein notwendiger Bestandteil, aber im Fokus steht etwas anderes“, erklärt Experte Zurstiege. „Die Zuschauer nehmen das nicht als klassische Werbung wahr. Sie erkennen, dass ein Formatbruch vorliegt und das goutieren sie.“ Also: Werbung wird auf den Kopf gestellt und ist deshalb vielleicht interessanter als die Spots, die sich von der Machart her seit Jahrzehnten kaum verändert haben.
Die Gefahr, dass das Produkt dabei „übersehen“ wird, sieht Zurstiege zwar nicht. Der Fachmann warnt jedoch: „Mit viralem Marketing spricht man nur einen bestimmten Teil der Zielgruppe an - das sind vor allem junge Leute, die sich in den sozialen Netzwerken bewegen.“
Die Werber von Jung von Matt sehen das ähnlich: „Ein Video wie “Supergeil“ kann nur eine Facette der Marke sein“, sagt Pfau. Die Nachfrage nach viralen Marketingkampagnen steige aber. „Man merkt, dass es in immer mehr Budgets vorgesehen ist.“ Der Opel-Sprecher meint: „Wir sehen jetzt anhand des Feedbacks in den sozialen Medien, dass dies funktioniert hat.“ Der Autobauer verknüpft „Umparken im Kopf“ aber trotzdem mit seiner klassischen Werbung: Am Freitag sollte der erste TV-Spot ausgestrahlt werden.
Virales Marketing
Beim viralen Marketing wird Werbung zu einer Art Selbstläufer und verbreitet sich wie ein Virus im Netz. Eine wichtige Rolle spielen dabei die potenziellen Kunden selbst: Sie sollen dazu animiert werden, das entsprechende Material aus freien Stücken zu verbreiten.
Dazu versuchen Werbetreibende, auf ungewöhnliche Art und Weise auf Marken oder Produkte aufmerksam zu machen. Ganz dem Zufall überlassen ist die Verbreitung allerdings nicht: Die Initiatoren platzieren beispielsweise Videos gezielt dort, wo sie interessierte Nutzer wähnen – etwa in sozialen Netzwerken. Text: dpa