Die historischen Kirchenglocken in Groningen läuteten dumpf. Die verzweifelte Mahnung vor drohendem Unheil galt Den Haag. „Dreht den Gashahn zu“, riefen dort wütende Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude. Es geht um die Gasförderung und damit um die Zukunft der Menschen in der nordöstlichen Provinz der Niederlande, einem der größten Erdgasproduzenten Europas. Der Streit um Gas, Geld und große Gefahren ist heftig entbrannt.
Die großen Erdgasvorkommen liegen im Groninger Boden nahe der deutschen Grenze. Doch die Bohrungen führten bereits zu mehr als 1000 Erdbeben in der Region. Den Bewohnern sackt der Boden unter den Füßen weg. Doch das spielte bei der Gasförderung nie eine Rolle. In einem Untersuchungsbericht fällte nun der nationale Sicherheitsrat ein knallhartes Urteil: Maximaler Gewinn war Behörden und Unternehmen demnach wichtiger als die Sicherheit der Bürger.
Die Politiker in Den Haag reagierten entsetzt. Für die Groninger aber ist der Report nach Jahrzehnten eine bittere Bestätigung. „Unsere Sicherheit spielte keine einzige Rolle, und das ist skandalös“, sagte Dirk Kleijer von der Bürgerinitiative Groninger Bodem Beweging.
Dabei hatte es wie ein Märchen begonnen: Als am 22. Juli 1959 unter einem Feld des Bauern Boon bei Slochteren Erdgas gefunden wurde, lockte unerschöpflicher Reichtum. Mit rund 900 Quadratkilometern und etwa 2800 Milliarden Kubikmetern Gas war es eines der größten Gasfelder der Welt.
Der Rohstoff machte die Niederlande nach Norwegen zum größten Erdgasproduzenten Europas. Über 2000 Milliarden Kubikmeter Gas wurden bisher gefördert, davon etwa die Hälfte für den Export. Der Staat verdiente gut daran, bisher rund 265 Milliarden Euro.
Doch für viele Bürger in der knapp 600 000 Einwohner zählenden Provinz wurde es zum Alptraum. Die Bohrungen in etwa drei Kilometer Tiefe ließen die Erdschichten absacken. Die Folge sind sogenannte Mikrobeben bis zur Stärke 2 auf der Richterskala. Bei den Bewohnern im Gebiet der Förderstellen hängen schon lange die Türen schief, klemmen Fenster und haben Mauern tiefe Risse. Und die Beben werden immer häufiger und immer heftiger.
„Die Folgen sind katastrophal“, betont die Groninger Bürgerinitiative. Neun vor allem ländliche Kommunen sind von den Beben betroffen. Über 25 000 Bürger meldeten Schäden. 50 000 Wohnungen müssen extra verstärkt werden. 24 historische Kirchen sind beschädigt. Auch Bürgerinitiativen in Ostfriesland sind über Bodenabsenkungen bei den Nachbarn besorgt. Die Folgen etwa für Deiche könnten gravierend sein.
In Niedersachsen, einem Schwerpunkt der deutschen Gasgewinnung, werden ebenfalls gelegentlich Mikrobeben registriert. Doch Schäden gibt es kaum. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Hannover richtete dennoch nach einer Zunahme der Beben 2013 einen eigenen Erdbebendienst ein. Da die Felder in Niedersachsen aber viel kleiner sind, ist die Problematik nach Angaben des Amtes auch deutlich geringer als in den Niederlanden.