Die Lebensversicherung war lange Zeit des Deutschen liebstes Kind, wenn es um die private Altersvorsorge ging. Das ist vorbei, vor allem wegen des allgemeinen Niedrigzinses. Höchstens Altverträge werfen noch einen nennenswerten Ertrag ab – was wiederum den Versicherungen teuer zu stehen kommt.
Das heißt: Mit der Lebensversicherung ist heute kaum noch Geld zu machen. Freilich stimmt das nicht immer: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2015 mit Urteilen Versicherten den Weg freigemacht, sich auch im Nachhinein noch einen ordentlichen Batzen Geld von der privaten Lebens- oder Rentenversicherung holen zu können. Das ruft selbst noch drei Jahre später auch in Mainfranken Anwälte und Berater auf den Plan.
Um was es im Kern geht
Einer davon ist Volker Patzke in Reichenberg bei Würzburg. Er hat sich seit 2016 mit seiner Agentur darauf spezialisiert, Kunden von Lebensversicherungen zu eben jenem Batzen Geld zu verhelfen. Patzke ist es wichtig zu betonen, dass das Thema in der Bevölkerung kaum bekannt sei.
Im Kern geht es darum, dass Lebensversicherungen mit den Beiträgen ihrer Versicherten jahrelang gut Geld verdienten, indem sie es rentabel anlegten. Der BGH ermöglichte mit seinen Urteilen von 2015, dass Versicherte ihren Anteil an diesem Profit einfordern können. Voraussetzung: Die Lebensversicherung muss nach Darstellung der Verbraucherzentrale Hamburg zwischen Mitte 1994 und Ende 2007 abgeschlossen worden sein. Und: Die Widerspruchsbelehrung an den Kunden muss fehlerhaft gewesen sein.
Was die Nutzungsentschädigung ist
Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Versicherte den Vertrag widerrufen – auch wenn er schon abgelaufen ist. Im Regelfall hat der Versicherte seine Beiträge, den Garantiezins und die Überschussbeteiligung von der Versicherung erhalten. Aber nicht das, was in Fachkreisen als Nutzungsentschädigung bezeichnet wird – also jenen Anteil am Profit, den die Versicherung mit der Anlage des Kundengeldes gemacht hat.
Der Versicherte muss beweisen
Der Haken: Der Versicherte sei gegenüber seiner Lebensversicherung in der Beweispflicht, erklärt Patzke. Das bedeutet, dass der Versicherte detailliert auflisten muss, welche Beträge ihm aus seiner Sicht zustehen. Das auszurechnen, ist jedoch nach Expertenmeinung außerordentlich kompliziert. Ist diese Berechnung ungenau oder gar falsch, schmettere sie die Versicherung im Streitfall ab.
Was die Aktuare machen
Um es dazu nicht kommen zu lassen, schalten Anwälte und Berater wie Patzke spezielle Sachverständige ein, auch Aktuare genannt. Sie rechnen mit komplizierten versicherungsmathematischen Methoden individuell aus, was für einen Versicherten herausspringen könnte. Mit diesem Gutachten in der Hand hat der Kunde gegenüber seiner Lebensversicherung ein deutlich schärferes Schwert in der Hand.
Die Agentur von Patzke reiht sich in die bundesweite Schar jener Berater ein, die Versicherten bei der Rückabwicklung ihrer Verträge aufs Pferd helfen wollen. Sie führen eine Art Vorab-Recherche. Geht es vor Gericht, wird ein Rechtsanwalt eingeschaltet. Patzke arbeitet hier nach eigener Aussage mit einer Kanzlei in der Region zusammen. Je nach Vertrag könnten mehrere tausend Euro bei einer Rückabwicklung herausspringen, hat der Reichenberger für seine bundesweit 1800 Kunden ermittelt.
Berater und Anwälte verdienen daran
Freilich verdient sein mit vier weiteren Mitarbeitern besetztes Büro daran: Zusammen etwa ein Viertel muss der Versicherte aus dem zusätzlich von der Versicherung erhaltenen Betrag an Patzke und den Anwalt zahlen. Geht der Versicherte gegenüber der Versicherung leer aus, fällt laut Patzke kein Honorar an.
Wulf Viola in Würzburg ist einer jener Rechtsanwälte, die sich auf die Rückabwicklung von Lebensversicherungen spezialisiert hat. Bundesweit betreut er nach eigenen Angaben 100 solcher Fälle. Viola hat eine weitere Zwickmühle ausgemacht: den Brexit.
Brexit kann gefährlich werden
Tausende deutscher Kunden seien im Besitz von Policen britischer Lebensversicherungen. Der Ausstieg der Briten aus der EU im März 2019 könnte böse Folgen für die Versicherten haben. Der komplette Verlust des Geldes sei dann möglich, sagt der Anwalt.
Unterm Strich raten Experten: Es ist für Privatleute an der Zeit, ihre Lebensversicherungen zu prüfen. Aus Sicht von Berater Patzke schon deshalb, weil zu erwarten sei, dass die verbraucherfreundlichen BGH-Urteile von 2015 schon im kommenden Jahr durch Folgeurteile wieder ganz oder teilweise gekippt werden. Dann sei es womöglich vorbei mit dem nachträglichen Batzen Geld.
Was Verbraucherschützer meinen
Wer deshalb nun die alten und neuen Versicherungsverträge wieder hervorkramt, sollte sich genau informieren, wen er dann zu Rate zieht. In den vergangenen Jahren habe es einige windige Adressen in Deutschland gegeben, weiß Abteilungsleiterin Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Wir hatten schon viel mit dem Thema zu tun.“
„Da wurde viel Geld versprochen“
Immer wieder hätten Berater Kunden aus ihren Verträgen „regelrecht rausgequatscht“, obwohl die Versicherung besser hätte gehalten werden sollen. „Da wurde viel Geld versprochen“, weiß Klug. Auf jeden Fall sollten ihrer Ansicht nach Hauruck-Angebote umgangen werden. „Vielmehr ist die individuelle Prüfung ganz wichtig.“
Weil offenbar auch noch Jahre nach den verbraucherfreundlichen BGH-Urteilen schnelles Geld zu verdienen gibt, geht es in dieser Branche der Rückabwickler dem Vernehmen nach recht turbulent zu. Für besonders offensives Auftreten war die Münchener Agentur Facto bekannt. Einem Bericht des „Handelsblattes“ zufolge ging sie im Juli allerdings in die Insolvenz.
Rückabwicklung von Lebensversicherungen
Nicht kündigen, sondern widerrufen: Dazu rät die Verbraucherzentrale Hamburg all jenen Kunden, die mehr Geld aus ihrer Lebensversicherung holen wollen. Widerrufen werden können demnach auch Verträge von Kapitallebens- und Rentenversicherungen (privat), die schon abgelaufen sind. Wichtige Voraussetzungen: Sie müssen zwischen Mitte 1994 und Ende 2007 abgeschlossen worden sein, ihre Widerspruchsbelehrung muss fehlerhaft sein.
Wer Hilfe im Detail sucht, findet auf der Website der Verbraucherzentrale Hamburg weitere Hinweise. Die Verbraucherschützer raten: Wenn bei einem Versicherungsvertrag ein Widerspruch in Frage kommt, sollte man direkt den Rat eines Anwaltes einholen. Welcher Anwalt dafür kompetent ist, steht selten auf dem Klingelschild. Vielmehr sollte man ihn fragen, ob er auf Versicherungen spezialisiert sei und ob er für gewöhnlich auf Seiten der Versicherten stehe, lautet der Hinweis von Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. (aug)