Spökenkieker heißen im Westfälischen Menschen, die in die Zukunft sehen können. So einen hätten die Mitarbeiter des traditionsreichen Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr jetzt wahrscheinlich gern, denn die Verunsicherung ist groß. Was wird etwa mit ihren Arbeitsplätzen geschehen, nachdem der Medienriese Bertelsmann aus Ostwestfalen das Ruder in Hamburg allein übernommen hat? Vor 45 Jahren war Bertelsmann bei Gruner + Jahr eingestiegen. Vor zwei Jahren scheiterte Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe mit einem ersten Anlauf, die restlichen 25,1 Prozent der Familie Jahr zu übernehmen. Man konnte sich damals nicht über den Preis einigen. Der Umbau begann aber bereits.
Rabe und die Jahrs waren sich schon länger einig, dass für eine „Transformation zu einem auch digital führenden Medienunternehmen“ anderes Führungspersonal hermusste. Der G+J-Vorstand wurde ausgewechselt, Julia Jäkel rückte an die Spitze. Unter ihr wurde der Verlag neu sortiert: Hierarchien aufgebrochen, Verlagsteile aus München nach Hamburg geholt. „Besser, schneller, effizienter und digitaler“, lautet Jäkels Wachstums-Credo. Zunächst führt der Weg aber durch ein Umsatztal, auch wegen einiger Verkäufe: Nach 2,07 Milliarden Euro 2013 wird 2014 höchstens ein Umsatz von 1,7 bis 1,8 Milliarden Euro erwartet.
Der Weg zu einem digitalen Haus der Inhalte sei ein langer, hat Jäkel immer wieder beteuert – und alles auf den Prüfstand gestellt. In den kommenden drei Jahren fallen rund 400 der 2400 Arbeitsplätze in Deutschland weg. 75 Millionen Euro sollen eingespart werden. Jäkel jagt dem Vorsprung anderer Verlagshäuser hinterher. Springer und Burda erwirtschaften bereits die Hälfte ihrer Erlöse mit dem digitalen Geschäft. G+J gerade einmal zehn Prozent.
Der Hamburger Medienwissenschaftler Stephan Weichert geht davon aus, dass G+J hiermit sein „heftigstes Sparprogramm“ angekündigt hat. „Das Kerngeschäft Zeitschriften funktioniert noch gut. Insofern passt Gruner + Jahr gut ins Bertelsmann-Portfolio.“ Der Hamburger Verlag werde zeigen müssen, ob er es schafft, „digitale Angebote zukunftsfähig zu machen“, sagte Weichert.
Am Geld soll das nicht scheitern, sagt Rabe. G+J kann dazu über fünf Jahre um die 500 Millionen Euro investieren, kündigte er jetzt an. Vielleicht auch mehr, wenn es nötig sei. Dies könnte erforderlich werden, denn der Verlag gehörte zuletzt nicht zu den Zugpferden des Konzerns.
Gruner + Jahr
Der Hamburger Verlag Gruner + Jahr (G + J) ist seit Jahrzehnten im Zeitschriftengeschäft präsent. Zur großen Verlagsgründung kam es 1965, als die Hamburger Verleger John Jahr und Gerd Bucerius ihre Publikationen mit dem Geschäft des Druckers Richard Gruner zusammenlegten. So kamen Magazine und Zeitschriften wie „Stern“, „Brigitte“ und „Capital“ unter einem Firmendach zusammen. Seit den Glanzzeiten des Verlags wurde die Palette um weitere Zeitschriften („Nido“, „Neon“) und im Internetzeitalter um digitale Angebote erweitert.
Die Bertelsmann-Gruppe hatte 1969 zunächst die Gruner-Anteile erworben – und stockte bis 1976 ihre Beteiligung auf schließlich 74,9 Prozent auf. Aktuell kommen nun die restlichen Jahr-Anteile hinzu. Für das 1. Halbjahr des laufenden Geschäftsjahrs wird im Bertelsmann-Zwischenbericht ein G + J-Umsatz von 908 Millionen Euro ausgewiesen. Die Zahl der Gruner + Jahr-Verlagsmitarbeiter betrug Ende Juni 8562. Text: dpa