
Seit Anfang dieses Jahres können sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wenzel-Gruppe in Wiesthal (Lkr. Main-Spessart) bereits am Donnerstag ein schönes Wochenende wünschen. Grund: Der Messmaschinenhersteller hat an seinem Hauptsitz im Spessart die Viertagewoche in der Produktion eingeführt.
Damit ist das Familienunternehmen, das weltweit rund 500 Menschen beschäftigt, ein Vorreiter in der Region und wohl auch eine Ausnahme in der gesamten Maschinenbau-Branche. Der IG Metall sind jedenfalls in Unterfranken keine weiteren Maschinenbauer mit Viertagewoche bekannt. Allerdings haben tarifgebundene Betriebe in der Metallindustrie, zu denen die Wenzel-Gruppe nicht gehört, seit 1995 in Westdeutschland eine 35-Stunden-Woche.

Geschäftsführerin Heike Wenzel möchte mit ihrem Vorstoß einerseits ihrem Bestandspersonal entgegenkommen, das mehr Freizeit zu schätzen weiß. Andererseits will sie ihren Betrieb in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiver machen.
In der Region gebe es einen Kampf um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, betont die 50-Jährige. "Deshalb haben wir uns Gedanken gemacht, was wir tun können, um unsere Mitarbeiter zu motivieren und neue zu uns zu locken."
Wiesthal im Spessart: Nicht unbedingt der Nabel der Welt
Wiesthal, ein Spessartdorf mit knapp 1300 Einwohnern, ist nicht gerade der Nabel der Welt. Die Autofahrt dorthin wirkt auf Auswärtige vermutlich zu gleichen Teilen abenteuerlich und entschleunigend.
Mit dem Zug ist Wiesthal in 16 Minuten von Aschaffenburg und elf Minuten von Lohr aus zu erreichen. Der Bahnhof ist nicht weit vom Wenzel-Werksgelände entfernt, wo rund 300 Menschen für den Mittelständler arbeiten.
Heike Wenzel berichtet, dass es teilweise schwierig sei, Arbeitnehmer von weiter weg in den Spessart zu holen. "In den Ortschaften drumherum gibt es aber schon einige Fachkräfte, die gerne hier arbeiten, nicht so weit fahren wollen und entsprechend motiviert sind", sagt sie.
Mit der Viertagewoche will sie ihrem "sehr traditionellen Familienunternehmen einen innovativen Touch" geben. Das familiäre Miteinander, bei der jeder einzelne Beschäftigte noch zähle, sei ein Mehrwert, den die Firma schon die ganze Zeit mitbringe. Nun habe man mit der Viertagewoche noch einen weiteren Anreiz geschaffen, so die Geschäftsführerin.
Die meisten Beschäftigten in der Produktion haben ihre Wochenarbeitszeit von 37,5 auf 36 Stunden reduziert. Ihr Lohn ist dabei gleichgeblieben. "Der Stundensatz erhöht sich und die Mitarbeiter haben noch den Zusatzgewinn, dass sie mehr Freizeit bekommen", sagt Heike Wenzel.
Bei manchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit 40-Stunden-Verträgen hat man sich in der Mitte getroffen. "Sie sind freiwillig auf 37,5 Stunden mit entsprechender Lohnreduktion gegangen. Die anderen eineinhalb Stunden pro Woche haben wir ihnen geschenkt", erläutert die 50-Jährige.

Da das auf Präzisionsmessgeräte unter anderem für die Autoindustrie sowie die Luft- und Raumfahrttechnik spezialisierte Unternehmen international tätig ist, sei es schwierig, in allen Bereichen die Viertagewoche einzuführen, betont die Geschäftsführerin. In der Verwaltung hat die Wenzel-Gruppe am Hauptsitz deshalb die Option auf einen Homeoffice-Tag eingeführt. Auch das sei gut angenommen worden, berichtet Heike Wenzel.
Wie die Viertagewoche bei Wenzel geregelt ist
Ein Teil der Belegschaft ist beim alten Arbeitszeitmodell geblieben. Von den 299 Beschäftigten in Wiesthal arbeiten seit Januar 144 nur vier Tage, 71 arbeiten einen Tag pro Woche von zuhause aus und 84 haben weiterhin eine Fünftagewoche.
Heiko Reinosch, Teamleiter in der Messmaschinen-Montage, und Monteur Rico Spahn sind begeistert von ihrem verlängerten Wochenende. "Das ist die beste Erfindung, die es in der letzten Zeit gegeben hat", schwärmt Reinosch. Nun könne man am freien Freitag Sachen machen, die man sonst nur abends erledigen konnte, etwa zum Arzt gehen, sagt der 45-Jährige.
Sein ein Jahr älterer Kollege nutzt die neu gewonnene Freizeit, um abzuschalten und mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. "Außerdem spare ich mir in der Woche 100 Kilometer Fahrweg zur Arbeit. Das macht bei den Spritpreisen schon was aus", sagt Spahn, der in Obersinn wohnt.
Dass sie nun am Tag neun Stunden arbeiten und ihre Mittagspause um 30 Minuten kürzer ausfällt, nehmen die beiden Arbeiter gerne in Kauf. "15 Minuten Mittagspause reichen völlig", behauptet der Monteur.
Mehr Erholung übers Wochenende
Betriebsratsvorsitzender Bernd Steigerwald bezeichnet die Viertagewoche "als super Schritt nach vorne". Er habe sowieso auf vier Tage reduzieren wollen, weil "die Freiheit ein hohes Gut ist".
Als ehrenamtlicher Bürgermeister von Neuhütten, Musiker und bald fünffacher Opa wird es dem 50-Jährigen in seiner Freizeit nicht langweilig. "Es gibt nichts Besseres für die Familie", sagt der Fertigungsleiter, der vor 35 Jahren seine Lehre bei Wenzel begann.
"Wenn ich acht Stunden in der Firma bin, kann ich noch eine neunte Stunde dranhängen. Das ist dann aber das Maximale", meint Steigerwald. Bei einem dreitägigen Wochenende falle die Erholung größer aus. Er ist sich sicher: "Die Work-Life-Balance wird auch für andere Firmen ein Thema werden."
Wie die Idee mit der Viertagewoche entstanden ist
Über die Viertagewoche wird zwar viel geredet, doch sie wird selten in die Tat umgesetzt. Bei der Wenzel-Gruppe ging das allerdings relativ schnell. Ein gutes halbes Jahr beschäftigte sich die Firma damit, beschlossen wurde die Einführung im Dezember, im Januar ging es bereits los.
Erfahrungswerte aus anderen Unternehmen gab es kaum. "Wir haben uns über das Internet und Presseberichte informiert und sind dann auf eigene Faust in dieses Rennen gegangen", sagt die Geschäftsführerin.
Kein Versuchsballon, sondern langfristiges Arbeitszeitmodell
Sie bezeichnet die Viertagewoche als langfristiges Arbeitszeitmodell: "Das ist kein Versuchsballon. Wir haben keine Exit-Strategie, sondern ziehen das jetzt durch." Wenn dringender Bedarf wäre, würden die Mitarbeiter aber auch mal an einem Freitag in die Firma kommen. "Das zählt dann aber als Überstunden", betont Heike Wenzel.
Dass die Produktivität sinkt, weil ein Gros ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun weniger arbeitet, befürchtet die Chefin nicht: "Für mich sind motivierte Mitarbeiter gute Mitarbeiter, die gerne Leistung bringen."

Heike Wenzel gibt zu, dass das momentan noch eine Theorie ist. "Aber das ist so, wenn man Vorreiter ist. Man muss das einfach ausprobieren." Zudem verspricht sich die Firma Energieeinsparungen von 10 bis 15 Prozent, weil energieintensive Maschinen, Druckluft- und Klimatechnik nun bereits Donnerstagabend ausgeschaltet werden.
Auf die Frage, ob die Maschinen jetzt von Montag bis Donnerstag schneller laufen, um die gleiche Produktivität wie bei einer Fünftagewoche zu gewährleisten, antwortet die 50-Jährige lachend. "Wir sind kein klassischer Produktionsbetrieb, der getaktet ist. Wir haben eine Kleinserien-Fertigung, auf die der Mitarbeiter großen Einfluss hat."
Vier Tage: Was für Chefin Heike Wenzel gilt
Durch die Corona-Pandemie ist die Wenzel Group laut der Geschäftsführerin auch dank Kurzarbeit mit "einem hellblauen Auge" davongekommen. Teilweise seien Beschäftigte, die in Rente gingen, nicht ersetzt worden, berichtet Heike Wenzel. "Jetzt ist das Unternehmen wieder auf der Suche nach neuen Mitarbeitern, weil wir am Anfang einer neuen Wachstumsphase stehen."
Die Neuen dürfen sich dann je nach Vorliebe und Arbeitsbereich auf ein dauerhaft verlängertes Wochenende freuen. Nur für die Chefin gilt weiterhin die Siebentagewoche: "Gerade als Gesellschafterin hat man eine ganz andere Verbundenheit zum Unternehmen. Man nimmt die Arbeit mit nach Hause und kann gar nicht abschalten."