In der Führungskrise bei Volkswagen ist keine schnelle Lösung in Sicht. Auch am dritten Tag nach der Attacke des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch auf VW-Chef Martin Winterkorn war am Montag zunächst nicht abzusehen, wie der Machtkampf ein Ende finden könnte. Ein Satz mit nur 28 Buchstaben hat ausgereicht, um die Welt des Volkswagen-Konzerns aus den Angeln zu heben.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zitierte Piëch am Freitag mit dem Satz: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Dabei sind zwei Dinge wichtig: Erstens passte – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – bisher kein Blatt zwischen Piëch und seinen „Ziehsohn“ Winterkorn. Das Duo führte das Zwölf-Marken-Reich VW als eingespieltes Tandem. Zweitens: Piëch hat mit kurzen Sätzen, transportiert über die Medien, schon mehrere Manager-Karrieren beendet. Unüberlegtheit ist seine Sache nicht.
VW wird straff geführt. Piëchs Wort ist dabei Gesetz, zumindest bisher. Der Porsche-Enkel und VW-Großaktionär gilt als das VW-Machtzentrum. „Göttervater“ nannte ein Kleinanleger Piëch einmal – dessen Aussagen gefürchtet sind. Das Vertrauen Piëchs in Winterkorn scheint erschüttert zu sein. Die Motive für Piëchs Handeln allerdings sind unklar. Spekuliert wird über sachliche Gründe wie VW-Probleme auf dem wichtigen US-Markt oder die Renditeschwäche der Kernmarke VW, aber auch persönliche Gründe – etwa, dass Winterkorn Piëch zu mächtig geworden ist.
Da ist allen voran der mächtige VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh. Er steht vereinfacht gesagt für die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat und damit für die Hälfte der 20 Sitze des Kontrollgremiums, das über Winterkorns Zukunft entscheidet. Osterloh sagte: „Wir haben eine klare Haltung, an der sich nichts geändert hat: Wir haben mit Dr. Winterkorn den erfolgreichsten Automobilmanager an Bord.“ Das Rekorde-Sammeln unter seiner Ägide sei beispiellos. „Wenn es nach uns geht, wird sein Vertrag über 2016 hinaus verlängert.“
Niedersachsen besetzt als VW-Ankeraktionär zwei Aufsichtsratsposten. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD), der mit seinem Parteigenossen und Wirtschaftsminister Olaf Lies im VW-Aufsichtsrat sitzt, sagte unmissverständlich: „Ich bin unangenehm überrascht über die zitierten Aussagen von Herrn Professor Piëch.“ Und: „Ich halte eine öffentliche Diskussion über die Spitzen von VW für schädlich.“
Das legt die Aussage seines Cousins und VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche zumindest nahe. Der Familienclan Porsche/Piëch hält die Mehrheit an VW. Und Wolfgang Porsche sagte: „Die Aussage von Herrn Dr. Piëch stellt seine Privatmeinung dar, welche mit der Familie inhaltlich und sachlich nicht abgestimmt ist.“ Damit zeichnet sich ein Konflikt auch unter den Eigentümer-Familien ab. Der Piëch-Zweig ist im Aufsichtsrat neben Ferdinand Piëch mit dessen Frau Ursula und dessen Bruder Hans Michel vertreten. Mit der Doppelstimme des Aufsichtsratschefs haben sie gemeinsam vier Stimmen. Vom Porsche-Zweig sitzt neben Wolfgang Porsche dessen Neffe Ferdinand Oliver im Kontrollgremium.
Die Lage bei VW ist vertrackt, eine Lösung derzeit nicht in Sicht. Dem Konzern drohen unruhige Wochen. Bei der VW-Aufsichtsratssitzung am 4. Mai dürfte es hoch hergehen. Einen Tag später ist die VW-Hauptversammlung – dann müssen Winterkorn und Piëch auf die Bühne.
Die Macht im VW-Aufsichtsrat
Einfluss Die Macht bei VW steht vor dem Hintergrund einer besonderen Konstellation aus Familien, Börsenorientierung, Einfluss der öffentlichen Hand und einem starken Betriebsrat. Das alles spiegelt sich im 20-köpfigen Aufsichtsrat wider. Ihn leitet der VW-Patriarch und Großaktionär Ferdinand Piëch.
PS-Clan Der bald 78-Jährige war früher VW-Vorstandschef und gilt mit seinem Familienstamm Porsche/Piëch als Mittelpunkt der Macht. Der PS-Clan mit Wurzeln beim VW-Käfer-Ingenieur Ferdinand Porsche hält über seine Porsche-Holding PSE die Mehrheit im VW-Konzern. Sie hängt an den stimmberechtigten Stammaktien der Wolfsburger. Allianzen Doch mit ihrer Stimmenmehrheit können die Porsches und Piëchs bei VW noch nicht durchregieren. Denn auf ihrer Kapitalseite stehen zwei der insgesamt zehn Aufsichtsratssitze dem zweitgrößten VW-Eigner Niedersachsen zu. Die Vergangenheit zeigte mehrfach, dass Arbeitnehmerseite und Land oft als Allianz agierten. Betriebsrat Die zehn Sitze des Arbeitnehmerflügels im Aufsichtsrat werden geführt von VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Sowohl der Betriebsrat als auch das Land haben sich nach der Kritik von Piëch an Winterkorn hinter den VW-Chef gestellt und ihm demonstrativ den Rücken gestärkt. Auch Porsches Familiensprecher Wolfgang Porsche zählt zu der Allianz. Absetzung Für eine Absetzung Winterkorns müsste dieser sich laut Aktiengesetz eine „grobe Pflichtverletzung“ geleistet haben oder „unfähig zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung“ sein. Und laut Mitbestimmungsgesetz müssten zudem für sein Aus mindestens 14 der 20 Kontrolleure stimmen. Text: dpa