Nach dem Abgang von Patriarch Ferdinand Piëch stehen bei Volkswagen weitreichende Entscheidungen an. Für den 78-Jährigen muss ein Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrats gefunden werden, außerdem ist der Platz seiner Frau Ursula in dem Gremium nun leer. Schlägt jetzt die Stunde von Martin Winterkorn, der vor dem Angriff durch Piëch als dessen ausgemachter Nachfolger an der Aufsichtsratsspitze galt? Oder kommt der Neue aus dem Kreis der Großaktionäre Piëch und Porsche? Oder wird es jemand von außen? Für den Aktionärsschützer Ulrich Hocker bietet sich die Chance für eine Verjüngungskur. „Jetzt wäre es an der Zeit, dass Martin Winterkorn den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt und in der Geschäftsführung ein Generationswechsel stattfindet“, sagte der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) der Deutschen Presse-Agentur. Vor der Hauptversammlung am 5. Mai in Hannover erwartet Hocker hierzu keine Entscheidungen. Das Aktionärstreffen wird Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber als kommissarischer Chefaufseher leiten. Auto-Analyst Max Warburton von Bernstein Research rechnet ebenfalls mit einem Aufstieg Winterkorns in das Kontrollgremium. Unter einem neuen Konzernchef könne dann die künftige Struktur für den zweitgrößten Autobauer der Welt festgezurrt werden.
Als potenziellen Winterkorn-Nachfolger an der Vorstandsspitze soll schon Piëch Porsche-Chef Matthias Müller favorisiert haben. Der 61-Jährige könnte als Übergangslösung einspringen, bevor die nächste Generation von Managern das Ruder übernimmt. Während für die VW-Chefrolle eine Reihe von Kandidaten gehandelt werden, könnte die Suche nach neuen Gesichtern im Aufsichtsrat schwieriger werden. Selbst wenn Winterkorn dort auf Piëch folgen sollte, müsste noch der Platz von Ehefrau Ursula nachbesetzt werden. Zudem steht die Neubesetzung unter den Vorzeichen der nahenden Frauenquote für Aufsichtsräte. Nach dem Ausscheiden von Ursula Piëch sitzen in dem Gremium nun nur noch zwei Frauen. Der Piëch-Biograph Wolfgang Fürweger sieht wenige Kandidaten für die Nachfolgefrage: „Die beiden Namen, die in Salzburg als mögliche Nachfolger genannt werden, sind Josef Ahorner und Florian Piëch“, sagte er. Ahorner ist der Sohn von Piëchs verstorbener Schwester Louise, Florian das Kind von Piëchs älterem Bruder Ernst.
Seine Berufung wäre aus Fürwegers Sicht allerdings eine Überraschung, weil sein Familienzweig keine Anteile mehr an der Porsche-Dachgesellschaft PSE hält, die das Machtzentrum bei der Kontrolle von VW darstellt. Könnte sich bald auch der gestürzte VW-Übervater von Anteilen trennen? Fürweger sieht dies als „Kardinalsfrage“. Nachdem der Porsche-Enkel das Vertrauen in Vorstandschef Winterkorn verloren und nach dem eigenen Abgang auch keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung habe, sei ein kompletter Abschied von VW nicht auszuschließen.
In solchen Gedankenspielen steckt eine Menge Sprengkraft. Daher beteuerte Piëch-Cousin Wolfgang Porsche als Aufsichtsratschef des VW-Großeigners PSE schon, die Familien stünden langfristig zu VW. „Wir werden weiterhin mit großer Loyalität unsere Verantwortung als Großaktionär für den Volkswagen-Konzern und seine 600 000 Mitarbeiter wahrnehmen“, ließ er am Sonntag mitteilen.
Die PSE, die in den Händen der Familien Porsche und Piëch liegt, besitzt 50,7 Prozent der VW-Stammaktien. Im Gegensatz zu den im Dax notierten Vorzugsaktien haben diese Papiere ein Stimmrecht. An der PSE-Holding wiederum hält Ferdinand Piëch rund 13 Prozent.
Multipliziert man diesen Anteil mit der gut 50-prozentigen Beteiligung der Porsche SE an Volkswagen, lassen sich Ferdinand Piëch rechnerisch etwa 6,7 Prozent der VW-Stammaktien zuordnen – mit einem Börsenwert von zuletzt rund 4,7 Milliarden Euro.
Die Eigentümer-Familien Porsche und Piëch haben ein Vorkaufsrecht, wenn ein Familien-Mitglied Anteile versilbern will.
Eine Aufsichtsratspersonalie ist derweil schon bekannt: Der VW-Großaktionär Katar plant eine personelle Neubesetzung für eines seiner zwei Aufsichtsratsmandate. Das Emirat, das 17 Prozent der Stimmrechte an Europas größtem Autobauer hält, will den Militärwissenschaftler Sheikh Abdullah Bin Mohammed Bin Saud Al-Thani ins Kontrollgremium entsenden.