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Augsburg
VW-Chef-Stratege: "Es geht um die Rettung des Planeten"
Der VW-Manager Michael Jost über den Dieselskandal, die Pariser Klimaziele und warum VW jetzt voll auf Elektroautos setzt.
Treibstoff aus der Steckdose: Volkswagen sieht in der Elektromobilität die Zukunft.
Foto: Imago | Treibstoff aus der Steckdose: Volkswagen sieht in der Elektromobilität die Zukunft.
Stefan Stahl
 |  aktualisiert: 10.03.2019 02:10 Uhr

Michael Jost ist Chef-Stratege von Volkswagen und damit Vordenker des Autobauers. Der Top-Manager sieht den Diesel-Skandal als schmerzlichen Hallo-Wachruf für den Konzern. Warum VW jetzt voll auf Elektroautos setzt.

Frage: Sie haben vor Ihrer Zeit bei VW für BMW noch unter dem legendären Chef Eberhard von Kuenheim gearbeitet. Was haben Sie von ihm gelernt?

Michael Jost: Kuenheim war eine große Persönlichkeit. Mich haben schon allein seine weisen Sätze wie "In großer Höhe fliegt der Adler besser allein" beeindruckt. Derart große Menschen sagen einen Satz und dann braucht man eine Zeit lang, um den Kern der Aussage zu begreifen. Solche führenden Manager geben das große Ganze vor, halten sich nicht mit zu vielen Details auf und führen mit wenigen Thesen erfolgreich einen Konzern. Das hat mich nach dem Studium beeindruckt und geprägt. Der frühere Porsche- und Volkswagen-Chef Matthias Müller hat mich dann zu VW geholt. Dort habe ich an der Seite von Winfried Vahland von 2010 an fünf Jahre geholfen, Skoda weiterzuentwickeln. Wir haben die Marke gerockt.

Michael Jost ist Chef-Stratege von Volkswagen.
Foto: Dietmar Theis | Michael Jost ist Chef-Stratege von Volkswagen.
Als Sie der heutige Volkswagen-Chef Herbert Diess 2015 zu VW geholt hat, steckte der Konzern im Skandalsumpf fest. Statt Rocken war Nachtarocken angesagt. Was wurde bisher erreicht?

Jost: Natürlich muss die Vergangenheit bewältigt werden, die weder Diess noch ich zu verantworten haben. Uns eint jedoch der Wille, Probleme zu lösen und in die Zukunft zu blicken. Hier sind wir in den vergangenen drei Jahren sehr gut vorangekommen. Dass wir heute als VW-Konzern so erfolgreich sind und 2018 mehr Autos als 2017 verkauft haben, steht auch mit dem Diesel-Skandal in Zusammenhang.

Das müssen Sie erklären. VW hätte doch nach dem Diesel-Desaster eigentlich weniger Autos verkaufen müssen.

Jost: Meine These lautet aber. Die Krise kann auch ein Wake-Up-Call sein. Das war sie für uns. Und im Resultat haben wir mehr und nicht weniger Autos verkauft.

Also einen Hallo-Wachruf.

Jost: Genau. Dieser Hallo-Wachruf hätte allerdings ruhig weniger schmerzhaft für uns ausfallen können. Er war extrem teuer. Bislang hat er uns über 28 Milliarden Euro gekostet – und viel Vertrauen bei den Kunden. Doch gerade auch durch die Diesel-Krise hat sich VW so massiv verändert. Der Wake-Up-Call war so knallhart, dass es nicht ging, als Konzern nur etwas weiter nach links oder rechts zu fahren. Wir haben auf weißem Papier die Strategie neu aufgesetzt, Mehrheiten erzeugt und umgesetzt. Während wir in den vergangenen Jahren öffentlich wegen des Diesel-Skandals massiv kritisiert wurden, haben wir zeitgleich begonnen die Änderung bei Volkswagen intensiv voran zu treiben und die VW-Welt neu skizziert.

Worin besteht diese Revolution?

Jost: Wir mussten als Autokonzern der Entwicklung Rechnung tragen, dass bei der UN-Klimakonferenz im Jahr 2015 in Paris ehrgeizige Ziele vereinbart wurden. So soll die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Levels begrenzt werden. Daher muss der CO2-Ausstoß deutlich verringert werden. Im Jahr 2050 wird eine CO2-neutrale Gesellschaft angestrebt.

Was bedeutet das für VW?

Jost: Auch wenn der Transportsektor daran nur mit zehn bis 15 Prozent beteiligt ist, fordert uns das als Unternehmen enorm heraus. Wir als VW mit allein 10,8 Millionen im Jahr verkauften Autos können und müssen einen großen Beitrag zur Verbesserung des Weltklimas leisten. Und diesen Beitrag leisten wir über unsere kraftvolle Elektroauto-Offensive, mit der wir nun voranschreiten. Wir investieren in den nächsten Jahren Milliarden in die Elektromobilität, werden mehr als 50 neue vollelektrische Modelle unseren Kunden anbieten und haben bereits mehr als 15 Millionen Fahrzeuge in harten Projekten. So eine breite E-Offensive bietet kein anderer Hersteller seinen Kunden.

Wandelt sich VW vom Diesel-Sünder zum Öko-Konzern?

Jost: Nein, wir werden kein Öko-Konzern. Wir sind eine Und- und keine Oder-Company.

Und was heißt das konkret?

Jost: Wir leisten unseren Beitrag, damit die Klimaziele von Paris geschafft werden. Und wir verbinden das mit Spaß und Emotionalität.

Versuchen Sie auch privat, die Pariser Klimaziele zu erreichen?

Jost: Ja. Meine Frau und ich haben das beschlossen. Wir stellen unseren Haushalt CO2-neutral auf, kaufen also für einen Teil des CO2-Ausstoßes, den wir nicht vermeiden oder reduzieren können, etwa CO2-Zertifikate. Dieses Geld fließt zum Beispiel in den Schutz von Mooren. Das kostet uns pro Jahr rund 1000 Euro. Zudem haben wir eine Wärmepumpe im Haus und beziehen Strom aus Wasserkraft vom regionalen Versorger.

Noch ist die Infrastruktur für E-Autos mangelhaft. Es fehlen an vielen Stellen Lademöglichkeiten. Was ist zu tun?

Jost: VW kann die E-Revolution nicht alleine stemmen. Da müssen die Kommunen ran. Auf Autobahnen sind wir auf einem guten Weg. Handlungsbedarf sehe ich vor allem im städtischen Bereich, zum Beispiel beim Einkaufen und auf öffentlichen Flächen. Der Autogipfel von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ging hier schon in die richtige Richtung. Ich ermutige den Ministerpräsidenten, noch weiter zu gehen. Hier geht es uns nicht darum, Subventionen zu bekommen, sondern Vorfahrt für E-Autos.

Wie geht das?

Jost: Wir sollten in Regionen blicken, in denen sich die Elektromobilität erfolgreich entwickelt. Zum Beispiel nach Norwegen schauen: Dort hat man der neuen Technologie Vorfahrt eingeräumt. Es gibt also Extra-Spuren für E-Autos, die so schneller vorankommen. Das schafft den Anreiz, sich solche Fahrzeuge zu kaufen. Wenn es etwa in München eine Spur für E-Autos gäbe, käme man von außerhalb schon mal eine halbe Stunde früher in die Stadt. Gleiches gilt für Parkplätze. Der Druck ist groß. Denn zu viel CO2 kann unseren Planeten vernichten. Wir führen aktuell eine sehr emotionale Diskussion zu NOx. Das ist sicher richtig und wichtig. Aber: Die Bedeutung des NOx-Stickoxid-Problems wird sich mit der Hochskalierung der E-Mobilität in den nächsten zwei bis drei Jahren reduzieren. Das CO2-Problem hingegen halte ich für eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Und wenn die Pariser Klimaziele nicht erreicht werden, befindet sich ein Staat wie Bangladesch unter Wasser – ein Staat mit 165 Millionen Einwohnern. Diese Auswirkungen sind nicht reparabel. So eine Welt möchte ich meinen Kindern nicht hinterlassen. Es gibt an dieser Stelle kein Spielraum für Diskussion.

Was machen wir mit all den Batterien für die E-Autos? Bekommen wird dadurch nicht ein ökologisches Problem?

Jost: Das muss nicht sein. Auto-Batterien werden ein zweites Leben haben. Sie können nach ihrer Zeit im Wagen im Haus oder als mobile Ladesäule als Speicher für regenerative Energien, etwa aus der Solaranlage auf dem Dach, wieder verwendet werden. So behalten die Batterien 50 Prozent ihres Wertes. Natürlich wird es auch große Speicherparks geben, in denen Auto-Batterien ein zweites Leben feiern und noch einen Wert von rund 1300 Euro haben.

Das hilft aber alles nichts, wenn Konzerne Batteriezellen einkaufen, die etwa in Polen mit Kohlestrom gefertigt wurden.

Jost: Das machen wir nicht. Unsere Zell-Lieferanten in Polen beziehen Grün-Strom. So bewegen wir als Autohersteller mit weltweit rund 640 000 Mitarbeitern auch Partner in anderen Ländern dazu, wie in Deutschland verstärkt auf regenerative Energie zu setzen. Und das ohne Druck.

Wäre es nicht am besten, Sie würden selbst Batteriezellen bauen? Dann hätten sie die volle Öko-Kontrolle.

Jost: Das ist eine Überlegung, aber wir können nicht alles selbst machen. Für unsere E-Auto-Revolution geben wir allein in den nächsten fünf Jahren rund 30 Milliarden Euro aus. Und wir investieren bereits seit drei Jahren massiv in die E-Mobilität. Unser E-Autowerk im sächsischen Zwickau ist startklar. Wir werden dort rund 330 000 E-Autos pro Jahr bauen.

Zeigen Sie es damit dem amerikanischen E-Auto-Bauer Tesla?

Jost: Tesla war neben der Diesel-Krise auch ein Wake-Up-Call für uns. Unser Vorhaben ist jedoch, bei allem Respekt vor Tesla, schwieriger als das der Tesla-Verantwortlichen. Denn wir bauen Autos für das Volk, Tesla für Eliten. Und wir wollen im Jahr 2025 rund 25 Prozent aller verkauften Autos als E-Fahrzeuge ausliefern. Das sind gemessen am aktuellen Absatz fast drei Millionen E-Autos im Jahr. 2050 werden wir sicher kaum noch Diesel- oder Benzinautos anbieten. In bestimmten Regionen der Welt werden wir jedoch noch einzelne Verbrenner verkaufen, wie möglicherweise in Indien oder Südamerika. An der E-Mobilität führt aber kein Weg vorbei. Später können wir auch Brennstoffzellen in E-Autos einbauen und so auch Wasserstoff als Treibstoff nutzen. Der Antrieb wird aber immer elektrisch sein.

Fehlen ihnen jetzt nicht schmerzlich die Milliarden an Strafzahlungen im Zuge des Diesel-Skandals für die E-Mobilitäts-Wende?

Jost: Das Geld hätten wir gut brauchen können. Doch Menschen ändern oftmals erst ihr Leben, wenn ein echtes Problem oder eine große Sehnsucht vorhanden ist. Das gilt leider auch für Unternehmen.

Sie klingen so optimistisch. Klappt das wirklich alles?

Jost: Ich sage immer: Wir können den „grünen Ast“ der Elektromobilität nicht absägen, bevor wir überhaupt auf ihm sitzen. Elektromobilität ist keine Nische. Ich bin der festen Überzeugung: E-Autos dürfen nicht als „Enabler“ für schwere Verbrenner SUVs eingesetzt werden. E-Mobilität ist unser neues Geschäftsmodell. Mit dem grünen Ast müssen und werden wir Geld verdienen. Das ist am Anfang immer schwer. Unser Ziel ist jedenfalls, Elektroautos etwa ab 2023 für unter 20 000 Euro anzubieten. Und das Ganze in rund 200 000 Einheiten pro Jahr. Daran arbeiten wir. Dieser Auftrag ist immanente Verantwortung und steckt schon im Namen von Volkswagen.

Doch viele Mitarbeiter haben Angst, dass durch die E-Mobilitätswende Arbeitsplätze wegfallen, weil die neuen Antriebe aus viel weniger Teilen als herkömmliche Motoren bestehen.

Jost: Jede neue Technologie bietet Chancen. Volkswagen wird ja durch die Digitalisierung zunehmend zu einer Software-Firma. Natürlich werden wir nicht mehr so viele Metallteile herstellen. Dafür brauchen wir aber mehr Software-Spezialisten. Die Zusammensetzung der Belegschaft wird sich auf Dauer verändern. Das machen wir jedoch nicht gegen, sondern mit den Belegschaften. Und natürlich qualifizieren wir unsere Mitarbeiter weiter und bilden junge Menschen für die Mobilitätswende aus.

Hätten Sie vor der Dieselkrise auch so konsequent vorgehen können oder wären Sie als Öko-Prophet in die esoterische Ecke gestellt worden?

Jost: Vermutlich wäre Letzteres der Fall gewesen. Was wir jetzt machen, ist alternativlos. Wir bauen reine E-Autos und das in hohen Stückzahlen. Hybrid-Fahrzeuge, also eine Mischung aus elektrischen und herkömmlichen Antrieben, bilden nur den Übergang. Am Ende sind Hybride kein Befreiungsschlag – wir brauchen eine aufrichtige vollständige und konsequente Elektrifizierung, denn es geht um die Rettung des Planeten.

Michael Jost, 57, stammt aus dem Sauerland. Seit 1987 lebt er in München. Der Physik-Ingenieur hat rund 20 Jahre für BMW gearbeitet. Danach war er als Strategieberater für die Automobilindustrie tätig. Im Jahr 2010 wurde Jost zu Volkswagen gelotst. Dort war er als Chef der Produktstrategie bei der VW-Tochter Skoda mit für Erfolg der Marke verantwortlich. Bei VW ist er seit Ende 2015 als Chef-Stratege der Kernmarke und als Leiter der Konzernproduktstrategie tätig.

 
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