Der Neue will schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz. Und Volkswagen-Chef Matthias Müller bleibt auch kaum etwas anderes übrig, denn inzwischen ist der Abgas-Skandal ein Fall für die deutsche Justiz. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig teilt am Montag in dürren Sätzen mit, dass sie ein Ermittlungsverfahren gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn eingeleitet hat. Noch werde zwar geprüft, ob es einen Anfangsverdacht gegen den Manager gibt, doch die Botschaft ist klar. Das Verfahren soll klären, wer die Manipulationen angeordnet hat und aus welchem Grund.
Dabei ist das ganze Ausmaß der Affäre noch immer nicht absehbar. Nach wie vor gibt es mehr Fragen als Antworten. Doch schon diese Woche könnte sich das ändern. Am Mittwoch kommt eine Woche nach der ersten Krisensitzung erneut das Präsidium des VW-Aufsichtsrats zusammen. Dabei soll nach internen Ermittlungen ein erster Zwischenbericht vorgelegt werden, wie die Deutsche Presse-Agentur am Montag aus Konzernkreisen erfuhr.
Und dieser Bericht scheint es in sich zu haben. Demnach fiel die Entscheidung zum Einbau der Manipulations-Software in Diesel-Fahrzeugen bereits in den Jahren 2005 und 2006, und zwar in der Motorenentwicklung in der VW-Zentrale in Wolfsburg. Mithilfe der Software hatte VW Abgaswerte in US-Dieselfahrzeugen manipuliert. Doch wer traf damals die Entscheidungen? Welche Motive dafür gab es? An der Spitze des Konzerns stand damals Bernd Pischetsrieder als Konzernchef und der heutige Daimler-Manager Wolfgang Bernhard leitete die Kernmarke VW. Klar ist: VW wollte angesichts von Problemen auf dem US-Markt mit Dieselfahrzeugen punkten. Die Vorgabe sei gewesen, diese Autos trotz der schärferen Abgaswerte kostendeckend anzubieten, hieß es in den Konzernkreisen.
Die Einhaltung der Grenzwerte, zumindest auf dem Prüfstand, sei aber nur mithilfe der Manipulations-Software möglich gewesen. VW habe darauf verzichtet, eine bestimmte Technologie zur Abgasreinigung in die Autos einzubauen, weil dies als zu teuer angesehen wurde, wie es hieß. Für diesen Zwischenbericht der internen Revision dürften sich auch die Ermittler der Braunschweiger Staatsanwaltschaft interessieren. Die prüft die Rolle Winterkorns und will Antworten: Welche Rolle spielte der Top-Mann im Diesel-Drama?
Während die Sprachrohre des Konzerns auf der Suche nach Auswegen aus dem Diesel-Drama abgetaucht wirken, suchen die Ermittler die Öffentlichkeit. Sie reagierten auf ein knappes Dutzend Anzeigen – und erwarten weitere in der nahen Zukunft. Spätestens seit dem Skandal um Schmiergelder und Lustreisen auf Firmenkosten vor zehn Jahren kennen sich die Ermittler aus auf den Fluren der Wolfsburger Konzernzentrale. Für Winterkorn geht es letztlich auch um eine mögliche millionenschwere Abfindung. Sollte es den Ermittlern gelingen, dem einst bestbezahlten Manager eines deutschen Dax-Unternehmens Vorsatz nachzuweisen, stünde für ihn noch mehr auf dem Spiel. Denn keine Manager-Haftpflicht käme in einem derartigen Fall für die Schadensersatzansprüche auf. Und die Folgeschäden des Bebens, das den einst so selbstbewussten Weltkonzern zur Zeit erschüttert, sind weiter nicht mal annähernd einzuschätzen. Doch noch sind diese Fragen ungeklärt – wie so viele andere in dem beispiellosen Skandal.
Unter den gut 600 000 Mitarbeitern steigt bereits die Sorge um ihre Jobs – auch wenn Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh beschwichtigt: „Derzeit sehe ich noch keine Konsequenzen für Arbeitsplätze.“ Mit Winterkorns Nachfolger Matthias Müller will er in der derzeit sehr angespannten Situation erst einmal die Mitarbeiter informieren. „Kommende Woche Dienstag werden Herr Müller und ich die Belegschaft auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg persönlich informieren“, sagte er. Davor stehen jedoch erst einmal intensive Debatten über den Weg aus der Krise an.
Osterloh: „Sicherlich müssen wir vor allem auf der Finanzseite darüber sprechen, wie wir mit den Zusatzbelastungen umgehen.“ Und auch für die Mitarbeiter an den 119 Standorten steht Informationsbedarf an. Kommende Woche soll es dazu Gelegenheit geben: „In der nächsten Woche haben wir außerdem Welt-Konzernbetriebsratssitzung“, so Osterloh. „Auch dort wird die aktuelle Situation diskutiert.“
Die Frage, wer wann vom Einsatz der betrügerischen Software in VW-Dieselautos gewusst hat, kann nicht nur strafrechtliche Konsequenzen und Schadenersatzforderungen bei Europas größtem Industriekonzern nach sich ziehen. Auch die größte Rückrufaktion der Unternehmensgeschichte für die betroffenen Fahrzeuge, die derzeit vorbereitet wird, dürfte mehrere Milliarden Euro kosten. Weiterhin sind nicht alle Details geklärt, fast täglich kommen neue Enthüllungen hinzu.