Am großen Tag war der Protagonist nur Nebendarsteller. Stefan Antel saß zwar in der ersten Reihe, aber er nahm ganz außen Platz. Daneben der deutsche Minister, der deutsche Arbeitgeberpräsident und der mexikanische Gouverneur. Mächtig Prominenz war an diesem Freitag Ende Juni ins mexikanische Puebla gekommen, um ein Vorzeigeprojekt und ein Stück deutscher Tradition in Mexiko einzuweihen.
Begonnen hatte alles vor drei Jahren – aus der Not heraus. Antel begann, eine Kopie der deutschen dualen Berufsausbildung in Mexiko aufzubauen. „Wir finden hier die Facharbeiter nicht, die wir brauchen“, sagt er. In Mexiko gibt es keine systematische handwerkliche Berufsausbildung. „Es ist ein Learning by Doing, das die Produktivität senkt und Zeit kostet, gerade in einer extrem spezialisierten Branche wie unserer“, sagt Antel. Der Mann aus Marktsteinach ist Geschäftsführer der mexikanischen Filiale der Schuler Gruppe AG, dem weltweiten Marktführer für Umformtechnik aus Göppingen. Seine Firma baut Pressen und Großanalagen für die Industrie.
So entstand also „Cedual“, das „Duale Ausbildungszentrum“. Seit August 2012 lernen die ersten 30 Auszubildenden Werkzeugmacher und Maschinenschlosser: deutsche Berufe, deutsches System, deutsche Lehrer und deutsche Dreh-, Fräs-, und Schleifmaschinen. Für das Projekt hat Antel fünf deutsche und ein spanisches Unternehmen gewonnen. Sie finanzieren das Projekt mit und schicken die Lehrlinge.
Anwärter für die nächsten Ausbildungsjahrgänge stehen Schlange. „Alles, was ein deutscher Auszubildender lernt, lernen unsere Schüler auch“, sagt Antel. Die Gesellenprüfung wird nach den AHK-Standards abgelegt. Auch andere deutsche Unternehmen haben bisher Nachwuchs ausgebildet – aber nur für den eigenen Bedarf. Schuler geht mit „Cedual“ einen Schritt weiter und bildet für den Markt aus. „Wir müssen etwas hinterlassen, wenn wir mal nicht mehr da sind“.
Und so sind an diesem regnerischen Tag Entwicklungsminister Dirk Niebel und der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, zur Schuler AG nach Puebla gekommen, um „Cedual“ den Ritterschlag zu geben. Sie sprechen von einem „Vorzeigeprojekt“. Und immer wieder fällt Antels Name. Ihm ist das ein bisschen peinlich. Der Marktsteinacher liebt die große Bühne nicht, er bleibt lieber im Hintergrund und lässt die anderen über ihn reden. Aber hinterher legt sich doch ein breites Lächeln auf sein Gesicht. „Total schön“, sagt er dann. Dieser Tage sei der Höhepunkt seiner Berufslaufbahn, sagt er. „Und wird es auch immer bleiben.“ Dabei ist Antel erst 43. Aber er hat noch andere Pläne. Der blonde Franke ist ein etwas anderer Chef. Er ist offen, fröhlich, zupackend und mag keine Anzüge. Er ist im besten Sinne informell. Sein Schreibtisch ist einer mehr in einem Großraumbüro und schon optisch kaum von dem seiner Sekretärin zu unterscheiden. Im Unternehmen duzen sich alle, und der Chef, in Hemd und Jeans, sitzt mit den Mitarbeitern mittags zum Essen in der Kantine: „Hier hört man die wahren Probleme der Kollegen, wenn sie zu Hause Stress haben oder mit dem Geld was nicht stimmt.“ Antel hat nicht nur Spaß an seinem Job, sondern er steht auch besonders auf seiner Branche, die manch einem sperrig daher kommen könnte: Herstellung und Aufbau von Großpressen für die Automobilindustrie, Automaten für die Genussmittelindustrie, Kranbau und Werkzeugbau. Antel ist davon begeistert: „So eine Presse aufzustellen ist sexy, es schafft etwas, das bleibt. Es ist wie ein Haus zu bauen“.
Daher ist er auch keiner dieser CEOs, die von Branche zu Branche oder von Unternehmen zu Unternehmen hüpfen. Seinem Arbeitgeber ist Antel mittlerweile fast 20 Jahre treu. In diesen Jahren hat er einen Aufstieg gemacht, auf den eigentlich nur die Bezeichnung Durchmarsch passt. Eine Karriere im Zeitraffer, bei der er seine Ziele immer wieder nach oben korrigieren musste.
Er stieg vom 16-jährigen Schlosser-Lehrling bei der damaligen FAG Kugelfischer im heimischen Schweinfurt zum Chef eines Unternehmens mit 176 Mitarbeitern, 160 Kunden und einem Jahresumsatz von 21 Millionen Dollar im Jahr 2011 auf. Stefan Antel hat die Leiter der Karriere so schnell erklommen, wie er in seinem fränkischen Zungenschlag spricht, der alle harten Konsonanten in weiche verwandelt. Dem Schlosser-Gesellen Antel wurde das heimische Franken schnell zu klein. „Ich habe als Kind schon davon geträumt, mal in den USA zu arbeiten.“ Mit 24 quengelte er bei seinem Arbeitgeber so lange, bis dieser ihn auf Montage von Großanalagen über den Atlantik schickte. Sieben Jahre war er mit Unterbrechungen in den Vereinigten Staaten als reisender Schrauber für Schuler unterwegs, dabei leitete er bereits den Aufbau von großen Anlagen mit mehreren Dutzend Mitarbeitern. „Als andere von der Uni kamen, hatte ich schon Führungsaufgaben zu erfüllen.“ Und so wuchs Antel in seine spätere Aufgabe als Geschäftsführer und Chef rein, ohne jemals ein Semester Betriebswirtschaft an einer Universität studiert zu haben. Nach Mexiko führte ihn sein Weg eher zufällig. 2003 baute Schuler für VW de México in Puebla, 130 Kilometer südöstlich von Mexiko-Stadt, eine Großpresse auf. Die Montage leitete Antel. Anschließend blieb er gleich und begann in Blickweite des VW-Werkes Schuler in Mexiko aufzubauen.
Mit Mexikanern zu arbeiten, sei bereichernd und herausfordernd zugleich, betont Antel. „Hier gehen die Leute nach Hause, wenn die Arbeit getan oder das Projekt abgeschlossen ist, in Deutschland macht man Feierabend, wenn die Arbeitszeit zu Ende ist“, hebt er einen wesentlichen Unterschied hervor. Auf der anderen Seite müsse man das Personal häufig noch weiterbilden, gerade in einem Unternehmen, das wie Schuler weltweit tätig ist. „Ich verlange von meinen Führungskräften, dass sie Deutsch, Englisch und Spanisch sprechen.“ Und da das in Mexiko nicht so leicht zu finden ist, bietet Antel betriebsinterne Sprachkurse an.
Stefan Antel selbst hat seinen Abschied aus Mexiko übrigens schon geplant. Das Arbeiten auf der Überholspur habe seinen Preis, sagt der Manager. Am 25. April 2016 wird er Schuler und Mexiko verlassen, einen Tag vor seinem 47. Geburtstag. „Dann habe ich so viele Stunden gearbeitet wie ein durchschnittlicher 65-Jähriger.“ Antel will dann die Welt umsegeln. Drei bis vier Jahre mit dem Boot über die Weltmeere. Und was kommt danach? „Keine Ahnung, ich habe ja genug Zeit, mir das zu überlegen.“