Wenn selbst Börsengurus rund um den Globus sich verwundert die Augen reiben, dann muss etwas Überraschendes in der Wirtschaftswelt passiert sein. So war es dann auch, als die US-Notenbank (Fed) etwas tat, was kaum jemand erwartet hatte: nichts. Aus Mangel an Beweisen, dass es dem Jobmarkt und der Konjunktur in Amerika wirklich gut genug geht, macht die Federal Reserve mit ihrer lockeren Geldpolitik weiter. Sie druckt 85 Milliarden Dollar (rund 63 Milliarden Euro) im Monat, pumpt sie mit dem Kauf von Anleihen in die Volkswirtschaft und hofft, dass dadurch mehr Bürger einen Arbeitsplatz bekommen.
Das „Nichtstun“ der Notenbanker erzeugte ein gewaltiges Echo. Medien witzelten, die Fed habe „kalte Füße“ bekommen. Aktienmärkte schossen auf Rekordhöhen, der Dollar verlor an Boden und Fachleute versuchten zu verstehen, was als nächstes passiert. Das scheint aber nicht einmal der scheidende Fed-Chef Ben Bernanke sagen zu können. Er selbst hatte die Erwartungshaltung auf das sogenannte Tapering geschürt, also auf das behutsame Abbremsen der Notenpresse.
Vor einigen Monaten ließ er eine allmähliche Kehrtwende von der ultralockeren Geldpolitik durchblicken – die unkonventionelle Konjunkturmaßnahme könne bis Mitte 2014 ein Ende finden. Doch plötzlich klingen seine Ankündigungen nicht mehr so gewiss. Selbstkritisch erklärte Bernanke auf einer Pressekonferenz, die Fed sei in letzter Zeit „über-optimistisch“ gewesen, was das Wirtschaftswachstum angehe. Tatsächlich scheint die US-Wirtschaft auch nach den 800 Milliarden Dollar, die die Fed seit Bekanntgabe ihrer jüngsten Konjunkturspritze vor einem Jahr in den Markt gepumpt hat, nur kleine Fortschritte gemacht zu haben.
Nicht nur die „Arbeitsmarktsituation insgesamt“ bereitet Bernanke Sorgen. Auch der anstehende Kampf um die Schuldenpolitik des Landes zwischen Präsident Barack Obama und dem Kongress wirft seine Schatten voraus. Es droht tatsächlich die Zahlungsunfähigkeit der USA. Eine ausbleibende Erhöhung der Schuldengrenze könnte sehr ernste Konsequenzen für die Finanzmärkte und die Wirtschaft haben, warnte der US-Notenbankchef. Vor allem – so die Besorgnis der Zentralbanker – wollte man in dieser Situation nicht mit einer kleinen Geste über das Ziel hinausschießen.
Auch wenige Milliarden weniger für Anleihekäufe pro Monat hätten per Spiraleffekt die Liquidität viel deutlicher verknappen können als beabsichtigt, so die Begründung. Bernanke muss es wissen: Allein seit seiner Ankündigung einer möglichen Drosselung im Mai stiegen die US-Hypothekenzinsen um rund einen Prozentpunkt. In Schwellenländern kam es zu Währungskrisen, Aktienmärkte stotterten. Am Donnerstag feierten die internationalen Finanzmärkte die anhaltende Geldflut der US-Notenbank euphorisch. Der deutsche Leitindex Dax kletterte erneut auf Rekordhöhen. Er sprang zeitweise über 8770 Punkte.
An der New Yorker Wall Street waren die Leitindizes noch am Mittwochabend auf Rekordstände gestiegen – und lieferten damit die Vorlage für die Börsenplätze Asiens und Europas.
Viele Experten reagierten aber auch besorgt. Der Kurs der Federal Reserve (Fed) berge Risiken, warnte etwa Clemens Fuest, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Es sei „sicherlich das große Risiko dieser Politik des Gelddruckens, dass die Preise immer mehr in die Höhe gehen für Vermögensgüter“. So bestehe die Gefahr einer erneuten Immobilienblase in den USA. Auch in Europa müsse man vor Preisblasen, die platzen könnten, auf der Hut sein.
„Unserer Ansicht nach haben Ben Bernanke und seine Fed ihr letztes Stück an Glaubwürdigkeit verspielt“, kommentierten die Analysten vom Bankhaus Metzler. „Denn was muss man schlussfolgern, wenn der Chef der US-Notenbank nicht in der Lage ist, die Konjunktur einigermaßen sicher drei Monate im Voraus abzuschätzen.“