In einer Sache waren sich am Ende dann doch fast alle einig: „Wir sind unter unseren Möglichkeiten geblieben“, gibt Edelgard Bulmahn (SPD) zu. Man habe auf die großen Fragen nicht unbedingt große, aber dafür umfangreiche Antworten gefunden, sagt Matthias Zimmer (CDU). Und Hermann Ott (Grüne) stellt fest: „Es gab praktisch null Möglichkeiten, sich auf einigermaßen konkrete Handlungsempfehlungen zu einigen.“ Die drei Bundestagsabgeordneten sind Mitglieder der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, deren Abschlussbericht am Montag in Berlin vorgestellt wurde.
50 Sondervoten
Der Bundestag hatte das überparteiliche Gremium aus 17 Parlamentariern und 17 Experten vor zwei Jahren mit der Klärung einer großen Frage beauftragt: Wie lassen sich Wirtschaftswachstum, ein gutes Leben und Nachhaltigkeit in Einklang bringen? Jetzt, nach Monaten der Diskussionen und des Streits präsentiert die Kommission zwar einen tausend Seiten starken Bericht, eine eindeutige Antwort hat sie nicht gefunden. Stattdessen ist der Abschlussbericht ein Dokument der Uneinigkeit: Mehr als 50 Sondervoten finden sich darin, also Beschlüsse, die nicht einstimmig von allen Beteiligten gefällt wurden. Konkret wird das Gremium nur in zwei Punkten.
Erstens: Die Grenzen des Wachstums müssen nach Meinung der Mitglieder von der Umwelt bestimmt werden. Und zweitens: Wohlstand muss in Deutschland künftig anders bemessen werden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Summe aller im Land produzierten Güter, dürfe nicht mehr der alleinige Maßstab sein.
Als Ersatz schlägt die Kommission die „W³-Indikatoren“ vor, ein komplexes Gebilde mit zehn Messwerten, darunter auch das BIP, aber daneben auch noch Kriterien wie Arbeit, Bildung oder Gesundheit. Dazu kommen noch neun „Warnlampen“, Indikatoren im Hintergrund, wie zum Beispiel Unterbeschäftigung oder globale Emissionen der Treibhausgase, und eine „Hinweislampe“. Die Indikatoren sollen in regelmäßigen Abständen berechnet und den Bürgern im Internet zugänglich gemacht werden. Vorab gab es bereits Spott für das Konzept: Es sei ein abstruser Zahlensalat, der nur für die Heute-Show tauge, wetterte die Linke. Die politischen Gräben in der Kommission waren aber nicht immer so groß. „Eine Weile stand ein Fenster für große Ideen offen“, hat die Kommissionsvorsitzende Daniela Kolbe (SPD) einmal in einem Interview gesagt. Das war ganz am Anfang, als die Mitglieder unter dem noch ganz frischen Eindruck der Fukushima-Katastrophe und der Bankenkrise arbeiteten. „Wir stehen vor großen Herausforderungen“, hieß es in dem Antrag zur Einsetzung der Kommission, den die Regierungsparteien 2010 gemeinsam mit SPD und Grünen stellten.
Keine gemeinsamen Beschlüsse
Es wurden fünf Projektgruppen gebildet, zu „Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile“ oder dem „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft“. In der Analyse der Probleme habe es über alle Fraktionen hinweg noch viel Übereinstimmung gegeben, sagt Grünen-Politiker Hermann Ott bei der Vorstellung des Berichts. „Angesichts der politischen Großwetterlage“ seien dann aber gemeinsame Beschlüsse fast nicht möglich gewesen. Trotzdem wertet Ott die Arbeit der Kommission als Erfolg. „Ich bin Optimist“, sagte er. Vielleicht könne man „den Kurs des Tankers ja doch ein wenig ändern“.