Die Energieversorger kassieren in diesem Jahr einer Studie zufolge beim Strompreis bis zu drei Milliarden Euro zu viel von den deutschen Verbrauchern. Dies geht aus einer Analyse des Energieexperten Gunnar Harms für die Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. Trotzdem können laut Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) schon in Kürze weitere Erhöhungen der Strompreise um bis zu fünf Prozent drohen.
Dem Energieexperten Harms zufolge sind die Preise im Stromeinkauf seit 2011 trotz der Stilllegung von acht Atomkraftwerken um zehn bis 20 Prozent gefallen. „Der Atomausstieg hat nicht zu den befürchteten Preissteigerungen geführt“, betont er. Wenn diese Effekte an die Endkunden komplett weitergegeben würden, müsste der Strompreis demnach rund zwei Cent je Kilowattstunde niedriger sein. In der Summe mache dies in diesem Jahr insgesamt drei Milliarden Euro aus.
„In den letzten fünf Jahren zeigt sich, dass gestiegene Einkaufspreise stets unverzüglich weitergegeben wurden, Preissenkungen hingegen nicht, zumindest nicht an das Kundensegment der Haushaltskunden“, so Harms. Die Preise für Industriekunden seien in den vergangenen Jahren um drei Prozent gesunken, „während gleichzeitig private Endkunden seit 2008 rund 20 Prozent mehr für den Strom bezahlen müssen“. Die Grünen kritisieren seit Wochen, dass es für energieintensive Unternehmen zu viele Ausnahmen bei den Netzentgelten und den Kosten zur Förderung erneuerbaren Energien gebe, daher müssen die Verbraucher beim Strompreis erhebliche Mehrkosten schultern.
Einen Haushalt mit einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden kostet die Ökostromförderung jährlich 125 Euro, davon zahlt er 31 Euro nur für die Industrie-Entlastungen (siehe auch untenstehende Fragen & Antworten). Die energieintensive Branche vertritt die Ansicht, nicht die Ausnahmen seien das Problem, sondern die Förderung erneuerbarer Energien. 2011 wurden 16,4 Milliarden Euro Vergütungen an die Produzenten von Ökoenergie gezahlt.
Bärbel Höhn, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, sagte der „Saarbrücker Zeitung“, letztlich sei auch die Bundesregierung für den unaufhaltsamen Anstieg der Strompreise verantwortlich. Sie lade die Kosten der Energiewende bei den Verbrauchern ab, indem sie die Unternehmen umfassend entlaste.
Umweltminister Altmaier bereitete die Deutschen – auch wegen des Solarbooms – auf einen weiteren Preisanstieg vor. Am 15. Oktober wird die über den Strompreis zu zahlende Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien für 2013 bekannt gegeben, sie könnte bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden auf 175 Euro klettern. „Es gibt Experten, die eine Preiserhöhung von fünf Prozent erwarten. Ich hoffe, dass wir etwas darunter liegen können“ , sagte er der „Rheinischen Post“.
Altmaier betonte, die beschlossene Deckelung der Solarförderung sei ein Schritt zur Dämpfung der Ökoenergie-Förderkosten. „Die Förderung des Solarstroms wird ganz auslaufen, wenn wir das Ziel von 52 Gigawatt an Leistungskapazität erreicht haben.“ Dieser Wert könnte 2014 erreicht sein. Der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell kritisierte, Altmaier schiebe den Schwarzen Peter der Solarförderung zu: „Wer die stromkostensenkende Wirkung des Ökostromes für die Börsenstrompreise ständig ignoriert, hat den Titel Umweltminister nicht verdient.“
Die Energiebranche wehrte sich gegen den Vorwurf, bei Stromkosten zu viel zu kassieren. So seien in der Harms-Studie einige Komponenten bei der Strombeschaffung nicht berücksichtigt worden, kritisierte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „So kommen Beschaffungspreise von rund fünf Cent pro Kilowattstunde zustande, die in der Praxis für Stromvertriebe nicht zu erreichen sind.“ Die Kosten, die den Bürger wirklich drückten, seien mit einem Anteil von 45 Prozent am Strompreis die Steuern und Abgaben.