„Das ist das Tal der Tränen, da müssen wir durch“, sagte RWE-Chef Peter Terium Mitte November bei der Bilanzvorlage und traf damit den Nerv der Branche. Obwohl die Strompreise getrieben von staatlichen Lasten immer neue Spitzenstände erreichen, verdienen die deutschen Versorger mit ihrem einstigen Goldesel Stromerzeugung fast kein Geld mehr. 2014 wird damit für sie ein sehr schwieriges Jahr. Die Hoffnung richtet sich auf die Politik: Die Versorger wünschen sich Korrekturen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und Geld für das Aufrechterhalten konventioneller Kraftwerke.
RWE rechnet 2014 mit bis zu 45 Prozent Gewinnrückgang, E.ON-Chef Johannes Teyssen warnte vor einem „Wettlauf um Stilllegungen“ fossiler Kraftwerke, die Gewerkschaft ver.di sieht in den kommenden Jahren Zehntausende Jobs in der Energiewirtschaft bedroht. „Wir sind nicht (. . .) der Lastesel der Energiewende“, schimpfte Teyssen.
Das Problem der Versorger ist inzwischen vielfach beschrieben: Wind- und Sonnenenergie sind so schnell gewachsen, dass sie theoretisch den deutschen Strombedarf an vielen Tagen allein decken könnten. Dank des im EEG festgelegten Einspeisevorrangs und der Festvergütungen weit über Marktniveau verdrängen die Erneuerbaren die konventionellen Kraftwerke.
Die Strom-Großhandelspreise stürzten in zwei Jahren bis Mitte 2013 um fast 40 Prozent auf unter 40 Euro pro Megawattstunde. Und dieser Absturz ist bei den Versorgern noch gar nicht komplett angekommen, weil sie ihren Strom in mehrjährigen Kontrakten im Voraus verkaufen. Die wirklichen Einnahmeeinbrüche stehen also noch bevor. Hinzu kommen die verlorenen Einnahmen aus den abgeschalteten Atomkraftwerken.
Die besonders umweltfreundlichen, aber teuren Gaskraftwerke rechnen sich damit nicht mehr, Steinkohlekraftwerke laufen – Kapitalkosten mitgerechnet – entlang der Nulllinie. Folge: Mehrere Kraftwerke wurden schon geschlossen.
Nach Ansicht von Experten konnten die Konzerne diese Entwicklung nicht komplett vorhersehen. „Das EEG wurde vermutlich von niemandem zu Ende gedacht und zu Ende gerechnet“, sagt Analyst Guido Hoymann vom Bankhaus Metzler. Die Investitionen in erneuerbare Energien nahmen seiner Meinung nach auch deshalb solche unerwarteten Ausmaße an, weil die Renditen von Wind und Sonne angesichts der Niedrigzinsen im Euroraum attraktiver wurden.
Konventionelle Erzeugung wird aber noch viele Jahre gebraucht, solange ausreichend große Stromspeicher für die Erneuerbaren fehlen. Das gilt nicht nur für die Versorgung bei Nacht und Windstille, sondern angesichts der Stromschwemme zunehmend auch für den Ausgleich der Netzspannung an besonders wind- und sonnenreichen Tagen. Der Winterorkan „Xaver“ Anfang Dezember mit neuen Windstromrekorden an der Nordsee zwang den Netzbetreiber Tennet etwa zu Ausgleichsmaßnahmen mit konventionellen Kraftwerken bis nach Österreich. Die Stromkonzerne reagieren auf den scharfen Einnahmerückgang mit den üblichen Rezepten: Sparpakete mit Stellenabbau, Verkauf von Beteiligungen, Dividendenkürzung und Verlagerung von Aufgaben ins preiswertere Ausland.
Branchenprimus E.ON setzt stark auf die Wachstumsmärkte in Brasilien und in der Türkei, steht angesichts der Finanzprobleme des brasilianischen Partners Eike Battista aber auch im neuen Jahr vor Herausforderungen. RWE ist wegen der kommunalen Eigner stärker an den Heimatmarkt gebunden und muss umso schärfer kürzen. Die Essener bauen laufende Projekte fertig, danach sollen Investitionen vorerst nur noch in die Instandhaltung fließen.
Von der Großen Koalition erhoffen sich die Erzeuger nun einen „Kapazitätsmechanismus“ – also Geld für das Vorhalten von Gas- und Kohlestrom unabhängig von Marktpreisen. Der Koalitionsvertrag stellt das nur „mittelfristig“ und unter starken Einschränkungen in Aussicht. Die Industrie ist dennoch optimistisch – nicht zuletzt mit Blick auf das Eintreten der SPD unter NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für die konventionelle Erzeugung. „Schlimmer als jetzt kann es in der Erzeugung außerdem doch gar nicht mehr werden“, so ein Energiemanager.