Die wenigsten Menschen müssen heute bei der Arbeit körperlich schuften. Dafür steigen psychische Belastungen stark an. Stress prägt in vielen Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen den Arbeitsalltag. Das kann krank machen. Aus diesem Grund müssen Arbeitgeber seit Ende 2013 in der sogenannten „Gefährdungsbeurteilung“ auch seelische Belastungen berücksichtigen. Schwierig bleibt die Frage, wann Arbeit seelisch so stark belastet, dass sie die Gesundheit gefährdet.
Stress zu messen, ist komplizierter, als etwa die Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz zu erfassen. Otto Piehl, beim Würzburger Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer für Arbeitssicherheit und Gesundheitsvorsorge zuständig, hat auf die Frage nach der Gefährdung durch emotionale Faktoren jedoch eine ebenso simple wie nachvollziehbare Antwort: „Wenn der Mitarbeiter seine Tätigkeit zum Wohle des Unternehmens als Stress und Belastung empfindet, ist die Schwelle erreicht, wo man davon ausgehen kann, dass es der Gesundheit nicht mehr förderlich ist.“ Piehl macht keinen Hehl daraus, dass psychische Belastungen bei Koenig & Bauer ebenso wie bei vielen anderen Unternehmen in der Region ein Problem darstellen: „Sie sind vorhanden und führen manchmal zu langwierigen Ausfallzeiten.
“ So könne die ständige Erreichbarkeit durch Smartphones Mitarbeiter ebenso an ihre seelischen Grenzen bringen wie die Informationsflut durch Mails sowie permanenter Termin- und Leistungsdruck. Hier habe sich in den vergangenen 15 Jahren viel verändert: „Die psychischen Belastungen nehmen stark zu.“
Hilfe durch „Pro-Psych“
Deshalb rief die Betriebskrankenkasse Koenig & Bauer mit der Uniklinik Würzburg das Projekt „Pro-Psych“ ins Leben. Wer psychisch krank zu werden droht, soll dadurch rasch Hilfe erhalten. Das Unternehmen verspricht sich von dieser Maßnahme eine Verkürzung der Ausfallzeiten.
Zu bedenken gibt Piehl, dass die Zahl der schweren oder gar tödlichen Arbeitsunfälle in den vergangenen 30 Jahren enorm gesunken sei – was an verbesserter Sicherheitstechnik liege. Maschinen sind heute meist komplett eingehaust. Durch Absaugungen sinkt die Staubbelastung. Lichtschrankentechnik hilft, Unfälle zu vermeiden.
Von Migräne bis Depression
Auch beim Automobilzulieferer Brose (Coburg/Würzburg) gibt es weniger sehr schwere körperliche Arbeiten, sagt Werkleiter Bernd Kaufer. Dafür forderten ein höheres Arbeitstempo, weltweite Teamarbeit, die Komplexität der Aufgaben und der Einsatz neuer Technologien die Beschäftigten. Ob ein Arbeitnehmer krank wird, hänge jedoch nicht nur von den Bedingungen am Arbeitsplatz ab. Entscheidend seien individuelle Ressourcen: „Dabei geht es um Faktoren wie Stressbewältigung, Ernährung, körperliche Fitness, seelische Belastbarkeit oder die familiäre Situation.“
Seit genau 15 Jahren fördert Brose die Gesundheit seiner Mitarbeiter durch sportliche und physiotherapeutische Präventionsmaßnahmen, ergonomisch optimierte Arbeitsplätze, gesundheitsschonende Arbeitsabläufe und Gesundheitsprogramme. Führungskräfte werden zum Thema „Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“ geschult. „Ziel ist es, die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu schützen, ihr Gesundheitsbewusstsein im Alltag zu fördern und die Leistungsfähigkeit zu erhalten“, so Anja Barchmann vom Sozial- und Gesundheitswesen bei Brose in Würzburg. Zu viele und zu komplexe Aufgaben, die in zu kurzer Zeit erledigt werden müssen, darüber stöhnen auch Beschäftigte der Industrie- und Handelskammer Mainfranken (IHK).
„Unsere Mitarbeiter leiden zunehmend an Verspannungen, Rückenschmerzen, Migräne oder Depressionen“, informiert Personalchefin Katrin Siegmund. Personalentscheider seien gefordert, gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen zu schaffen: „Darum ist Mitarbeitergesundheit fester Bestandteil unserer Führungskultur.“ Bereits vor mehreren Jahren baute die IHK mit ihrem arbeitsmedizinischen Dienst, unterstützt durch den Personalrat, ein betriebliches Gesundheitsmanagement auf. Derzeit wird die „Psychische Gefährdungsbeurteilung“ nach dem Arbeitsschutzgesetz durchgeführt. Die Beschäftigten konnten dabei freiwillig an einer Online-Umfrage teilnehmen. So gelang es, berufsspezifische Belastungen an den verschiedenen Arbeitsplätzen zu ermitteln. „Die Ergebnisse liegen im grünen Bereich“, sagt Siegmund. Durch die Untersuchung wurde jedoch deutlich, dass die Anforderungen rein quantitativ gestiegen sind: „Dafür brauchen wir Lösungen.“ Deshalb sind im Herbst Workshops mit der Belegschaft geplant. Siegmund: „Ziel ist es, krankmachende Faktoren mittelfristig durch effizientere Organisationsstrukturen möglichst auszuschalten.
“ Wie gut die Organisationsstrukturen im Bereich Arbeitsschutz sind, das wird von der unterfränkischen Gewerbeaufsicht überprüft, erklärt Amtsleiter Günther Gaag. Seine Experten für den Arbeitsschutz sollen außerdem neue Themen wie „Psychische Belastungen“ vorantreiben. Hier könnte allerdings weitaus mehr geschehen, hätte Gaag mehr Mitarbeiter. „Sowohl in Bayern als auch im Bund wurde die Zahl der Aufsichtspersonen deutlich reduziert“, berichtet Gaag. Damit fehlt die Voraussetzung, Unternehmen aus eigener Initiative in größerem Stil zu überprüfen. „Wir sind überwiegend reaktiv unterwegs, das heißt mit externen Anfragen, Anträgen und Beschwerden beschäftigt“, so der Arbeitsschutzspezialist.
Zu wenig Gewerbeaufseher
Gehen die Aufseher in die Firmen, sind sie Gaag zufolge prinzipiell gehalten, neben technischen Fragestellungen auch die Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastungen zu überprüfen. Dass Arbeitnehmer heute deutlich stärker als früher seelisch belastet sind, hängt dem Amtsleiter zufolge nicht zuletzt mit der Globalisierung zusammen. Fachkräfte aus der Region müssten oft direkt mit Kollegen in Amerika oder Asien kooperieren: „Zeitverschiebungen bedingen Bereitschaftszeit, Schichtarbeit oder Nachtarbeit.“
Auch Gewerkschaftern zufolge nehmen Stress und Druck in allen Branchen zu. „Selbst auf den Baustellen wächst der Stress stetig“, sagt Michael Langer, Branchensekretär bei der IG Bauen-Agrar-Umwelt (BAU) in der Region Franken. Nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels beim Bau und der Gebäudereinigung bei gleichzeitig vollen Auftragsbüchern steige die Belastung. Bauarbeiter in der Region klagen Langer zufolge über extrem lange Arbeitszeiten und nicht genehmigten Urlaub: „Dies wird besonders bei den vielen Autobahnbaustellen deutlich.“
Hohe Dunkelziffer auf dem Bau
Arbeit macht dem Gewerkschaftssekretär zufolge auch auf dem Bau inzwischen seelisch krank: „Viele können nicht mehr abschalten.“ Die Dunkelziffer sei hoch: „Denn viele Arbeitnehmer melden sich nicht krank.“ Ein Verhalten, das auf lange Sicht einen hohen Preis hat. Wer sich immer wieder zur Arbeit quält, obwohl es ihm gar nicht gut geht, droht, eines Tages einen Burn-out zu erleiden. In manchen Firmen sei das Arbeiten regelrecht „unmenschlich“ geworden, ergänzt Langers Kollege Gerhard Citrich, Leiter der Abteilung Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der IG BAU in Frankfurt.
Um gegenzusteuern, entwickelt die Gewerkschaft Netzwerke zur Gesundheitsprävention. In Seminaren treffen sich Betriebs- und Personalräte, um zu erfahren, wie sie psychische Belastungen am Arbeitsplatz ermitteln und wie sie gegensteuern können.
Auch Ibo Ocak, Geschäftsführer der NGG in Unterfranken, beschäftigt das Thema „Gesundheitsschutz“ inzwischen sehr. Er könne etliche Beispiele präsentieren, wie unsanft Arbeitgeber in Gastronomie und Lebensmittelhandwerk mit ihren Mitarbeitern umgehen, so der Gewerkschafter: „Beschäftigte werden so gemobbt, dass der psychische Druck nicht mehr auszuhalten ist.“ So sei er gerade mit zwei Fällen befasst, in denen die behandelnden Ärzte Mobbing attestiert hätten: „Eine Kollegin war deswegen sogar in der Lohrer Psychiatrie.“
Auch die NGG klinkt sich in die Diskussionen um einen besseren Gesundheitsschutz in den Betrieben ein: „Wir klären in jeder Betriebsversammlung darüber auf, dass Arbeit krank machen kann.“ Und zwar dann, wenn sie einfach zu viel ist. „Aber Arbeiten kann auch Spaß machen“, betont Ocak. Nichts sei schöner, als motivierte Beschäftigte zu sehen, die fair behandelt werden: „Leider ist dies in unseren Branchen seltener geworden.“