Am Geld soll's nicht liegen: Im vergangenen Jahr haben Investoren in Deutschland 6,2 Milliarden Euro in Start-ups gepumpt – so viel wie noch nie. Diese vor wenigen Tagen präsentierte Zahl der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (Stuttgart/Berlin) zeigt, dass die junge Gründerszene einen Lauf hat.
Zweifellos auch in Mainfranken, wo Würzburg das Zentrum dieser Entwicklung ist. Doch der Schwung hat nachgelassen, das neue Jahr hat zudem schwierige Vorzeichen. Davon ist jedenfalls Jan Wiesner von der Gründerwerkstatt Würzburg überzeugt. Im Interview erklärt er, wohin der Zug für die Start-ups in der Region fährt.
Frage: Angenommen, die mainfränkische Gründerszene wäre ein Auto. Dann war es vor fünf, sechs Jahren noch mit 150 km/h auf der Überholspur unterwegs. Welches Tempo hat dieses Auto heute?
Jan Wiesner: Etwa 130 km/h.
Warum ist das Tempo geringer geworden?
Wiesner: Es hat weniger abgenommen, als es wahrgenommen wird. Ich habe mir die offiziellen Gründer-Zahlen der IHK mal genauer angeschaut. Demnach hatten wir einen großen Einbruch 2010 unmittelbar nach der Finanzkrise. Seitdem haben wir uns auf dem Niveau von 7000 Neugründungen pro Jahr eingependelt. Der Trend geht ganz minimal zurück.
In diesen 7000 Neugründungen stecken aber auch alle neuen Modeboutiquen, Kioske oder sonstigen herkömmlichen Läden, nicht nur klassische Start-ups. Wie sieht es allein bei ihnen aus?
Wiesner: Schlicht und einfach – es gibt zu wenige in Würzburg. Dabei muss man erst mal definieren, was ein Start-up ist. Nämlich: jung, innovativ und skalierbar.
Der Begriff Start-up ist zur Mode geworden, klingt schick. Lassen sich viele angehende Gründer davon blenden? Werden mitunter falsche Erwartungen geweckt?
Wiesner: Ich verdiene meine Brötchen ja als Gründungscoach. Ich begleite jedes Jahr zwischen 30 und 40 Gründer und Gründerteams auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Ich kann Ihnen sagen: Sehr viele junge Unternehmen – meist Gründerteams – bezeichnen sich heute als Start-up. Streng genommen erfüllen viele nicht die Definition eines Start-ups. Mich stört das aber nicht. Theoretisch kann ja jedes junge und innovative Unternehmen überraschend skalieren und somit im Rückblick zum Start-up werden. Der Illusion, dass man ein Start-up einfacher hochziehen kann als ein konventionelles Unternehmen, sollten sich die Gründer aber nicht hingeben.
Auf einer Skala von 1 wie miserabel bis 10 wie super: Wie ist im Moment die Stimmung in der mainfränkischen Gründerszene?
Wiesner: Wir liegen bei einer schönen 8.
Und vor fünf Jahren?
Wiesner: Da lagen wir noch bei einer 9.
Was hat die Stimmung getrübt?
Wiesner: (zögert.) Es kann daran liegen, dass die vergangenen Jahre super für Fachkräfte waren. Da gab es viele Jobmöglichkeiten und da gab es ganz viel Geld zu verdienen. Diejenigen, die sich heute im Start-up-Bereich selbstständig machen, wollen wirklich Großes erschaffen. Wollen sich verwirklichen. Wollen Ihre Träume in die Realität umsetzen. Das sind Menschen, die frei sein wollen.
Sind es immer Studenten?
Wiesner: Im Start-up-Bereich meistens Akademiker, nicht ausschließlich Studenten.
Wie lange überleben im Schnitt Jungunternehmen in Mainfranken?
Wiesner: Hier würde ich zwischen Start-ups und konventionellen Jungunternehmen unterscheiden. Bei konventionellen Gründungen ist meiner Erfahrung nach das dritte Jahr das kritischste. Da schlägt spätestens der Fiskus zu. Wenn sie das überlebt haben, haben sie die Brandung genommen. Danach werden es von Jahr zu Jahr weniger, die aufgeben. Es gibt eine Faustformel: In den ersten drei Jahren nach der Gründung verschwinden 50 Prozent vom Markt. Diese Zahl kursiert schon sehr lange in der Gründerszene, auch in Mainfranken. Wir dürfen aber nicht glauben, dass diese Unternehmen alle sterben im Sinne von Pleitegehen. Viele stellen ihre Selbständigkeit auch einfach wieder ein, weil Ziele nicht erreicht werden. Start-ups hingegen haben innovative Ideen und versuchen häufig, mit Risikokapital schnell zu wachsen. Im Schnitt schafft es nur eines von zehn Start-ups zu skalieren. Die meisten der übrigen Start-ups halten sich über Wasser, schaffen aber den großen Durchbruch nicht. Ich schätze, in der Region stellen zehn Prozent innerhalb von drei Jahren den Geschäftsbetrieb wieder ein.
In welchen Bereichen tummelt sich in Mainfranken die Start-up-Szene? Ist es immer nur IT?
Wiesner: IT ist ganz stark im Kommen und alles, was mit Digitalisierung zu tun hat. Bei Apps gibt es sehr viele Gründungen, auch bei Künstlicher Intelligenz. Insgesamt würde ich mir wünschen, dass wir mehr innovative, skalierbare Geschäftsmodelle und Jungunternehmen in der Region haben.
Wie groß ist der Prozentsatz an Frauen, die in der Region Start-ups gründen?
Wiesner: Der ist in Würzburg wie in ganz Deutschland relativ gering. In ganz Deutschland sind es etwa 35 Prozent Gründungen durch Frauen. In Start-ups sind es nochmals deutlich weniger, eher um die 15 Prozent.
Welche Charaktereigenschaften muss jemand haben, der ein erfolgreiches Start-up gründen will? Drei Stichworte, bitte.
Wiesner: Risikobereitschaft, Bereitschaft zu Verantwortung, Willensstärke.
Wenn es um die mainfränkische Start-up-Szene geht, spricht man schnell nur von Würzburg. Wo stehen Schweinfurt, Main-Spessart und all die anderen Teile Mainfrankens?
Wiesner: Das neue Zentrum für digitale Innovationen Mainfranken ist letztendlich in Würzburg entstanden, obwohl sich alle Städte und Gemeinden in der Region darum bewerben konnten. Schon der Name zeigt, dass im ZDI ganz Mainfranken steckt, also auch Schweinfurt und so weiter. Das Oberzentrum ist aber nun mal Würzburg.
Große Unternehmen wie Bosch zum Beispiel steigen eifrig in Start-ups ein, um sich wendiger zu machen und um sich neuen Geist ins Boot zu holen. Was ist davon in Mainfrankens Gründerszene zu spüren?
Wiesner: Die Frage ist erst einmal, ob es wünschenswert ist, dass Start-ups von großen Unternehmen übernommen werden. Das hängt sehr von den persönlichen Zielen der Gründer ab. Einige gehen gezielt an den Start, um später übernommen zu werden. Andere sehen überhaupt keinen Grund darin, ihr kleines Unternehmen zu verkaufen.
Gibt es Beispiele von Start-ups in Mainfranken, die von Großunternehmen übernommen wurden?
Wiesner: Mir fällt spontan keines ein. Ich sehe eher, dass sich Unternehmen mit Kapital an Start-ups beteiligen, ohne es komplett zu kaufen. Dabei geht es darum, Zugriff auf das Know-how des Start-ups zu haben und sich strategisch weiterzuentwickeln. Wittenstein zum Beispiel macht so was, Bosch Rexroth und Flyeralarm auch.
Was für ein Jahr wird 2020 für die mainfränkische Gründerszene?
Wiesner: Ich höre schon von ersten Gründern im B2B-Bereich und in der Industrie, dass sie schwer zu kämpfen haben. Ich denke, dass hier die Gründungen zurückgehen werden. In anderen Bereichen wie Gastronomie, Gesundheit oder haushaltsnahe Dienstleistungen geht immer was. In Branchen, die nicht so sehr von der allgemeinen Konjunktur abhängen, wird immer gegründet. Die Lage bleibt also gemischt.