Für Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wird es ernst: Rund vier Jahre nach dem gescheiterten Übernahmeversuch bei Volkswagen hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage gegen den 60-Jährigen wegen Aktienkursmanipulation erhoben. Damit muss sich Wiedeking erstmals ernsthaft mit dem Gedanken an einen Strafprozess anfreunden. Bei einer Verurteilung drohen Geldstrafe bis hin zu einem Jahresnettoeinkommen, oder sogar bis zu fünf Jahre Haft.
Die Ermittlungsbehörde klagte auch Wiedekings damaligen Porsche-Finanzchef Holger Härter an, der sich aktuell schon wegen Kreditbetrugs vor dem Landgericht Stuttgart verantworten muss. Laut einem Sprecher am zuständigen Stuttgarter Landgericht haben Wiedeking und Härter bis in den Januar hinein Zeit, auf die Klage zu reagieren. Erst danach werde das Gericht über die Prozesseröffnung entscheiden. Es sei statistisch gesehen wahrscheinlich, dass eine Anklageerhebung zugelassen wird. Wiedeking und Härter wiesen die Vorwürfe als haltlos zurück.
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die früheren Vorstände beim Angriff von Porsche auf VW 2008/2009 Anleger und Finanzwelt täuschten. „Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, in von ihnen im Jahr 2008 veranlassten öffentlichen Erklärungen des Unternehmens in Bezug auf den Beteiligungserwerb an der Volkswagen AG unrichtige Angaben gemacht zu haben“, teilte die Behörde mit.
Interne Pläne verschleiert?
Konkret soll das so abgelaufen sein: Während die Porsche-Chefs zwischen Frühling und Herbst 2008 mindestens fünfmal gegenüber der Finanzwelt dementierten, bei VW nach der Macht greifen und die 75-Prozent-Schwelle erreichen zu wollen, hätten sie heimlich eben genau jenen Plan vorangetrieben. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft haben die Porsche-Manager ihren schrittweisen VW-Einstieg früh und gezielt mit Finanzgeschäften vorbereitet und diese internen Pläne nach außen hin verschleiert.
Die Gegenseite sieht das alles ganz anders. Wiedekings und Härters Anwälte teilten mit, dass ein Großteil der anfänglich erhobenen Vorwürfe im Sande verlaufen sei. „Die nunmehr angeklagten Restvorwürfe erweisen sich in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht als unbegründet.“ Die Argumente dafür: Erstens seien die angezweifelten Erklärungen an die Finanzwelt korrekt gewesen und zweitens hätten sie die Börse nachweislich auch gar nicht beeinflusst. „Bei fehlender Kurseinwirkung kommt eine Strafbarkeit nicht in Betracht.“ Das Schreiben endet mit: „Eine solche Anklage kann keinen Erfolg haben.“
Ex-Porsche-Chef Wiedeking und sein damaliger Finanzvorstand Härter standen bis zur aktuellen Entscheidung für eine Anklage jahrelang im Fokus der Ermittler – vom Bündel der anfänglichen Anschuldigungen ist inzwischen aber vieles fallengelassen worden. So hatte es zunächst Vorwürfe wegen zweierlei Straftatbestände möglicher Marktmanipulation gegeben, wovon einer schon im Frühling 2011 fallengelassen wurde.
Auch den bisher aufrechterhaltenen Vorwurf der Untreue klagte die Staatsanwaltschaft nun doch nicht an, denn eine Pflichtverletzung der Vorstände könne trotz sehr hoher Risiken in den Porsche-Finanzen „nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden“.
Gegen Härter war bereits diesen September ein Prozess um Kreditbetrug gestartet. Er und zwei seiner damaligen Führungskräfte aus dem Finanzbereich sollen ebenfalls im Zusammenhang mit dem am Ende gescheiterten Angriff auf VW eine Bank bei Kreditverhandlungen fehlinformiert haben. In diesem Prozess ist ein Ende nicht absehbar, einer der zwei Mitangeklagten ist das Verfahren allerdings bereits gegen eine Geldauflage von 75 000 Euro los. Gegen Wiedeking hatte es nie Ermittlungen in diese Richtung des Kreditbetruges gegeben.
Wiedeking ist mittlerweile in ganz anderen Geschäftsfeldern aktiv: Demnächst will er sein erstes Pizza-Restaurant eröffnen. 17 Jahre lang lenkte Wiedeking die Geschicke von Porsche, führte den damals angeschlagenen Autobauer wieder auf die Überholspur, griff nach der Macht bei Volkswagen – und verhob sich. Mittlerweile hat VW die Hausmacht bei den seit jeher eng verbandelten Partnern, und nicht Porsche, wie Wiedeking es geplant hatte. Seitdem hat auch die Staatsanwaltschaft den früheren Manager im Visier.
„Ich bin mit mir im Reinen“, sagte er einst dem „Stern“. Den Schatten von Porsche und die Vorwürfe der Anklagebehörde kann er dennoch nicht ganz abschütteln: „Am Ende ist das immer eine Last“, sagte einst einer, der ihn kennt. Wiedekings Freunde betonen stets, so viel habe er gar nicht falsch gemacht.
So wohlwollend sehen ihn nicht alle. Man dürfe ihm und Härter zwar nicht die ganze Schuld an der gescheiterten VW-Übernahme zuweisen, sagte Porsche-Urenkel Peter Daniell Porsche kürzlich in einem Interview. „Aber ich will schon sagen: Die Dicke ihrer Zigarren und das Ausmaß der Bankgeschäfte waren auf dem höchsten Niveau der Hochnäsigkeit und des jugendlichen Spieltriebes.“
Mittlerweile investiert Wiedeking in Häuser, Schuhe, Pharma und PR-Agenturen. Und jetzt auch noch Pizza. Er selbst sagte einst über sein Leben nach Porsche: „Ich bin mindestens genauso viel unterwegs wie in meiner früheren Tätigkeit.“
Klageflut
Die Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW hat ein langes juristisches Nachspiel.
Landgericht Braunschweig: Dort hingen fünf Klagen von Anlegern gegen Porsche an, von denen das Gericht inzwischen zwei zugunsten von Porsche abgewiesen hat. Sie drehten sich um Schadenersatz in Millionenhöhe. Die übrigen drei Verfahren laufen noch.
USA: Milliardenschwere Forderungen von Fondsgesellschaften in den Vereinigten Staaten laufen in zwei getrennten Fällen.
Stuttgart 1: Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Kreditbetruges, Untreue und Marktmanipulationen. Am Ende musste Härter sich wegen Kreditbetruges verantworten.
Stuttgart 2: Das Oberlandesgericht entschied, dass VW-Patriarch Ferdinand Piëch seine Pflichten als Aufsichtsrat der Porsche-Holding während der Übernahmeschlacht verletzte. Die Holding prüft juristische Wege, um gegen die Entscheidung anzugehen. Text: dpa