Im Übernahmepoker um den französischen Alstom-Konzern hat Siemens offiziell ein eigenes Angebot angekündigt, zumindest für Teile des Rivalen. Nach Angaben des Konzerns sind die Münchner dabei, eine entsprechende Offerte für den Industriekonzern einzureichen. Zuvor hatte es eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats des Münchner Unternehmens gegeben. Das Gremium hat grundsätzlich grünes Licht für die Übernahmepläne für den französischen Rivalen Alstom gegeben. Vor einer konkreten Offerte sollen zunächst die Bücher Alstoms geprüft werden, hieß es. Siemens soll bereit sein, Geschäfte im Schienenverkehr – wie etwa den Bau von ICE-Zügen und Lokomotiven – an Alstom abzugeben, wenn der Konzern im Gegenzug das Energietechnik-Geschäft der Franzosen übernehmen könnte.
Auch der US-Rivale General Electric (GE) hat Interesse an Teilen von Alstom angemeldet. Alstom hatte angekündigt, bis zum heutigen Mittwochvormittag über das weitere Vorgehen informieren zu wollen. Am Dienstagabend wollte der Verwaltungsrat des Unternehmens zusammenkommen. Mitarbeiter des Unternehmens protestierten am Dienstag vor einer Niederlassung in Saint-Ouen bei Paris gegen die Zerschlagungspläne. Bei einem Treffen mit Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg forderten Gewerkschaftsvertreter eine erneute Teilverstaatlichung ihres Unternehmens. Die Regierung werde alle notwendigen Mittel ergreifen, um die Interessen des Staates zu schützen, kommentierte Montebourg. Der Minister hatte in den Vortagen deutlich gemacht, dass er einen Deal mit Siemens vorziehen würde. Dies würde es erlauben, im Zuggeschäft einen „Weltmarktführer made in France“ aufzubauen. Um eine Chancengleichheit der Angebote von Siemens und GE zu gewährleisten, schaltete die französische Regierung am Dienstag die Finanzaufsichtsbehörde AMF ein. Die Alstom-Führung hatte zuvor lange heimlich nur mit GE verhandelt. Siemens-Chef Joe Kaeser steht nun vor seiner ersten großen Bewährungsprobe: Als Stratege mit ruhiger Hand hat Kaeser sein Amt als Siemens-Chef vor neun Monaten angetreten – doch damit ist es endgültig vorbei. Mit Volldampf ist der Elektrokonzern unter seiner Führung in einen transatlantischen Übernahmekampf um den französischen Industriekonzern gerauscht. Der Siemens-Lenker steht damit unversehens vor der bisher größten Herausforderung seiner langen Siemens-Karriere. Nun muss er alles auf eine Karte setzen, um den Poker zu einem guten Ausgang zu führen.
Dabei hat der gebürtige Niederbayer ohnehin alle Hände voll zu tun. Seit Monaten feilt Kaeser an der Strategie für den Elektrokonzern, den er profitabler und schlanker machen will, um wieder Anschluss an Wettbewerber wie den US-Rivalen General Electric zu bekommen. Doch der Wirbel um Alstom hat den geplanten Konzernumbau, den Kaeser am 7. Mai in Berlin verkünden will, nun in den Hintergrund rücken lassen. Für den großen internationalen Auftritt hatte sich der Manager schon vor Jahren gerüstet. Geboren als Josef Käser, änderte er seinen Namen im Zuge eines USA-Aufenthaltes in Joe Kaeser und kam damit den vielen ausländischen Partnern des weltweit aktiven Konzerns entgegen. Bei Siemens hat Kaeser schon sein ganzes Berufsleben verbracht. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre begann er seine Laufbahn 1980 im Unternehmensbereich Bauelemente. Es folgten verschiedene Stationen, zunächst als kaufmännischer Leiter, später als Vorstand der früheren Mobilfunksparte ICM und als Leiter der Konzernstrategie noch unter Siemens-Chef Heinrich von Pierer.
Im Mai 2006 wurde Kaeser unter Pierers Nachfolger Klaus Kleinfeld Finanzvorstand des Elektrokonzerns – und blieb das auch unter seinem Vorgänger Peter Löscher, der nach zwei Gewinnwarnungen in kurzer Folge im vergangenen Sommer seinen Hut nehmen musste. Kaesers Kür zum neuen Siemens-Chef kam nicht wirklich überraschend und war von den Kapitalmärkten gefeiert worden. Seither drückt der 56-Jährige dem Konzern seinen Stempel auf und hat etwa die Länderorganisation von Siemens neu geordnet. Doch das dürfte nur ein Vorgeschmack auf das sein, was kommt: Spekuliert wird über eine Auflösung der vier großen Siemens-Sektoren Energie, Industrie, Medizintechnik sowie Infrastruktur & Städte. Auch die Zahl der Divisionen könnte schrumpfen. Reichlich Baustellen also für Kaeser.