Die Pannenserie reißt einfach nicht ab. Die Dreamliner-787-Maschine des US-Flugzeugherstellers Boeing befand sich am Donnerstag bereits auf dem Weg nach Tokio, als es kurz nach dem Start in Boston Aufregung im Cockpit gab. Die Warnanzeige der Treibstoffpumpe im rechten Triebwerk begann signalrot zu blinken und forderte zur Wartung auf. Die Piloten entschlossen sich deshalb zur Rückkehr nach Boston, wo die Maschine zwar sicher landete, der Vorfall aber eine weitere Schramme im ohnehin schon stark ramponierten Image von Boeings Sorgenkind hinterließ. Zudem häufen sich die Schockmomente.
Am Londoner Flughafen Heathrow war es vor kurzem erneut zu einem Brand an Bord einer Dreamliner-Maschine gekommen. Immerhin kam niemand zu Schaden – der Flieger der afrikanischen Fluggesellschaft Ethiopian Airlines war leer. Die Boeing 787 hatte zuvor schon mehr als acht Stunden auf dem Vorfeld geparkt, als Rauch entdeckt wurde. Personal hatte während einer Routinekontrolle Rauchentwicklung und Funken im hinteren Teil der Maschine bemerkt und die Feuerwehr informiert. Aus Sicherheitsgründen wurde das Rollfeld um die Maschine mit einem Schaumteppich abgedeckt, um ein etwaiges Überspringen der Flammen auf die Treibstofftanks im vorderen Rumpfteil und in den Flügeln zu verhindern. Erhebliche Schwierigkeiten hatten die Brandbekämpfer, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Mehrere Versuche mit dem Löschmittel Halon blieben erfolglos, erst der Einsatz von Wasser führte zum gewünschten Erfolg. Deutliche Brandspuren am äußeren Kabinendach des betroffenen Dreamliners belegten, dass der Kunststoff-Rumpf dabei schwer beschädigt wurde. Sämtliche Starts und Landungen an Europas größtem Flughafen mussten für mehr als eineinhalb Stunden eingestellt werden.
Flughafen komplett gesperrt
Boeings ehemaliges Prestigeprojekt 787 entwickelt sich immer mehr zum tragischen Albtraum für den amerikanischen Flugzeugbauer und Erzkonkurrenten des europäischen Herstellers Airbus. Für Boeing wird nun fast alles davon abhängen, was der Auslöser des Feuers am Boden war. Einen weiteren schweren Rückschlag mit dem Prestigemodell wird der Konzern sich nicht mehr leisten können, immerhin steht Airbus mit seinem neuen Konkurrenzprodukt, dem A 350, in den Startlöchern. Eine erste Maschine des neuen Flugzeugtyps hat gerade ihren Jungfernflug erfolgreich absolviert, und die ersten Flugzeuge sollen 2014 ausgeliefert werden. Sollte sich die Pannenserie beim Dreamliner weiter fortsetzen, könnten Investoren abspringen, zumal Airbus bereits angekündigt hat, aus Boeings Fehlern zu lernen. Und die waren vielfältig.
Zuerst musste die Auslieferung wegen Problemen bei der Entwicklung und der Produktion um mehr als drei Jahre verschoben werden. Dann drohten im Januar dieses Jahres die feuergefährlichen Lithium-Batterien an Bord die Maschinen abzufackeln. Der Luftfahrtkonzern hatte für seinen neuen Jet ausgerechnet die feuergefährlichsten Akkus gewählt, die schon in der Entwicklung einen Großbrand in der Forschungsfirma verursacht hatten.
Das Desaster nahm seinen Lauf. Einmal brannten die Akkus in einem Flugzeug am Boden komplett aus. Bei einem zweiten Vorfall mussten Piloten zur Notlandung ansetzen, nachdem sich im Cockpit während des Fluges ein beißender Gestank ausgebreitet hatte und sie den Ausbruch eines Feuers befürchteten.
Verschmorte Kiste unterm Cockpit
Zu Recht, wie sich nach der Notlandung zeigen sollte. Unter dem Cockpit wurde später eine verschmorte blaue Kiste mit einer schwarzen Masse gefunden – die Überreste eines Lithium-Ionen-Akkus. Kurzerhand entzogen die Aufsichtsbehörden Boeing die Betriebserlaubnis – ein in der Luftfahrtgeschichte bislang einzigartiges Ereignis. Für alle Fluggesellschaften, die weltweit den Dreamliner 787 in der Flotte hatten, bedeutete das ein dreimonatiges Startverbot für den „Feuervogel“, wie das Flugzeug mittlerweile in Insiderkreisen genannt wird. Die Auslieferung neuer Flugzeuge musste komplett gestoppt werden.
Der neuerliche Brand jetzt am Londoner Flughafen kam nun für Boeing zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, auch wenn sich bei den Ermittlungen herauszustellen scheint, dass der Brandherd diesmal nicht von den heiklen Batterien ausgelöst wurde. Im Zentrum der Untersuchungen steht ein Notfallsender des US-Konzerns Honeywell. Der Sender ist im hinteren Flugzeugrumpf eingebaut und dient Rettungskräften dazu, im Notfall eine abgestürzte Maschine zu orten. Von der Kommunikationsabteilung bei Honeywell ist bislang nur zu erfahren, dass es „bislang keine Probleme mit den in der Boeing 787 eingebauten Peilsendern gegeben habe“.
Notfallsender als Brandursache?
Spannend wird die Geschichte, wenn man hinterfragt, welcher Typ dieses Senders nun in den Dreamliner eingebaut wurde. Bereits im Jahr 2009 hatte die US-Luftfahrtbehörde FAA Airlines nämlich empfohlen, einen bestimmten Honeywell Notsender auszutauschen, weil er bei verschiedenen Tests versagt hatte. Allerdings wurde damals keine Feuergefahr festgestellt. Sollte der US-Konzern trotzdem dieses Modell in die neuen Prestige-Maschinen eingebaut haben, dürfte er spätestens nach dem jüngsten Brand in arge Erklärungsnot kommen. Als erste Maßnahme empfahlen die britischen Ermittler jetzt, bei allen 787 Modellen weltweit diese Notfallsender abzuschalten. Außerdem forderte die Behörde in London von der amerikanischen Flugsicherheit eine erneute Sicherheitsprüfung.
Doch bei Boeing winkt man ab. Es würde nur eine Stunde dauern, den Peilsender abzuschalten, erklärte ein Konzernsprecher. Alles kein Problem.
Für den amerikanischen Konzern geht es hier um den Ruf und natürlich auch viel Geld. Die Auftragsbücher sind mit 930 Bestellungen weltweit übervoll, Stückpreis 187 Millionen Euro, 66 Mittel- und Langstreckenjets wurden bislang ausgeliefert.
Japans nationale Fluggesellschaft ANA (All Nippon Airways) hat zu Hause, als Eigentümer der weltweit größten Dreamlinerflotte mit 20 Maschinen, alle Hände voll zu tun, die Landsleute von der Sicherheit des Flugzeuges zu überzeugen. Vor allem die dreimonatige Zwangspause am Boden macht dort die Kunden nach wie vor misstrauisch. Erst vor kurzem hatte sich deshalb die Airline zu einer breit angelegten Marketing-Kampagne in Japan entschlossen, um Kunden wieder von der Sicherheit der Maschinen zu überzeugen.
Verbranntes Geld im wahrsten Sinne des Wortes nach dem neuerlichen Vorfall in London.
Auch einflussreiche Airline-Manager im Mittleren Osten wie Akbar Al Baker, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der renommierten und vielfach preisgekrönten Fluggesellschaft Qatar Airways, werden langsam ungeduldig. Die rasant wachsende Airline fliegt derzeit mit acht 787-Maschinen und hat weitere 55 Flugzeuge bestellt. Im Gespräch betont Al Baker zwar regelmäßig, dass er den Dreamliner für ein wunderbares Flugzeug halte. Erwähnt aber auch im gleichen Atemzug, dass Boeing seiner Airline mit dem Dreamliner schon „viel Schmerz“ verursacht habe. Viel mehr Schmerz werde man aber nicht akzeptieren.