Noch vor einem Jahr war die Welt für VW in den USA in Ordnung. Die Verkäufe stiegen Monat für Monat, im frisch eröffneten Werk in Chattanooga herrschte Aufbruchstimmung und die Beziehungen zur lokalen Politik hätten besser kaum sein können. Der einflussreiche Senator Bob Corker kam sogar eigens ins 1200 Kilometer entfernte New York angereist, um VW-Chef Martin Winterkorn eine Auszeichnung für dessen Managementleistungen zu überreichen. Die beiden Männer schäkerten und lachten.
Heute ist dem Politiker, der eine maßgebliche Rolle bei der Werksansiedlung spielte, das Lachen vergangen. Corker kritisiert, dass VW Gespräche über den Aufbau eines Betriebsrates in Chattanooga führt – und zwar ausgerechnet mit der Gewerkschaft UAW, der viele Amerikaner eine Mitschuld am Niedergang der heimischen Autoindustrie geben. „Es ist nahezu unvorstellbar, dass ein Management die UAW zu sich einlädt“, sagte Corker.
Der Fall Chattanooga beschäftigt längst die Konzernzentrale in Wolfsburg. Das Werk im US-Staat Tennessee ist die bisher einzige der weltweit 102 VW-Fabriken, in der ein Mitbestimmungsgremium fehlt. Dem bei VW traditionell mächtigen Konzernbetriebsrat ist das nicht nur ein Dorn im Auge – es geht ums Prinzip und darum, einen Kern der Unternehmenskultur als Teil der globalen Volkswagen-DNA zu wahren. Für die Amerikaner wiederum wäre der Einzug der UAW in ein ausländisches Autowerk im Süden der Vereinigten Staaten eine Zäsur. Gerade weil die einst so mächtige Autogewerkschaft in diesem Teil des Landes machtlos ist, zog es in den vergangenen Jahren immer mehr Hersteller hierher. Neben japanischen und südkoreanischen Konzernen haben sich in der Region auch BMW und Mercedes-Benz angesiedelt, nebst Zulieferern wie Continental oder Bosch. Die Löhne waren niedriger als in den Industriezentren des Nordens und die Menschen im armen Süden brannten auf Arbeit.
Doch warum spricht VW überhaupt mit der UAW? Könnten die Mitarbeiter nicht einfach so eine Arbeitnehmervertretung gründen? Jein. Die rechtliche Lage ist unklar. Die UAW sagt, es brauche eine Gewerkschaft als Basis für einen Betriebsrat. Experten sind sich da weniger sicher und der Konzern prüft. „Der Dialog hat gerade begonnen und kann Monate dauern“, sagt ein VW-Sprecher vor Ort. Das Problem: VW hat die Zeit nicht. Die Entscheidung für ein zweites Modell am Standort drängt. Bisher wird hier nur der US-Passat gebaut, angedacht ist nun zusätzlich ein Geländewagen, dessen Studie bereits zu Jahresbeginn auf der Branchenmesse in Detroit stand. Mit dem könnte VW seine zuletzt schwächelnden Verkäufe in den USA endlich wieder ankurbeln.
Sonst fährt die Konkurrenz weiter davon. „Der Markt verlangt nach dem Modell“, sagt ein Konzern-Insider. Doch der mächtige Konzernbetriebsrat in Wolfsburger droht mit einer Blockade der Entscheidung, sollte die Belegschaft in Chattanooga nicht so mitbestimmen dürfen, wie es die Charta der Arbeitsbeziehungen vorsieht. „Volkswagen ist auch deshalb weltweit so stark, weil wir Arbeitnehmer an den Unternehmensentscheidungen beteiligen“, heißt es vom Konzernbetriebsrat. Lachender Dritter ist nun die UAW. Sie wittert ihre Chance, endlich im Süden Fuß zu fassen. Das hat die Gewerkschaft dringend nötig, denn mit dem Niedergang der Autoindustrie um Detroit hat sie Zehntausende Mitglieder verloren. UAW-Präsident Bob King lief während der Automesse IAA in Frankfurt von Journalistenrunde zu Journalistenrunde und verkündete, schon mehr als die Hälfte der Chattanooga-Beschäftigten habe Absichtserklärungen für eine künftige UAW-Mitgliedschaft unterzeichnet. Manche Mitarbeiter werfen der Gewerkschaft allerdings vor, sie mit falschen Informationen zur Unterschrift verleitet zu haben. Welche Bedeutung die Diskussion für die Menschen vor Ort hat, machte jüngst Gouverneur Bill Haslam bei einer Diskussionsrunde klar. Er fürchtet um die wirtschaftliche Entwicklung des Bundesstaates: „Wir werden es schwerer haben, neue Unternehmen nach Tennessee zu locken, wenn die UAW hier Fuß fasst.“