Ben van Beurden machte am Mittwoch einen gelösten Eindruck. Wie eine Selbstverständlichkeit verkündete der Vorstandschef des Energieriesen Shell, dass sein Unternehmen 47 Milliarden Pfund (rund 64 Milliarden Euro) auf den Tisch legen will, um den britischen Gasförderer BG Group zu übernehmen – ein Megadeal, wie es ihn in der Branche seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Ähnliche Ausmaße hatte zuletzt 2012 die Übernahme von TNK-BP durch den russischen Staatskonzern Rosneft für 55 Milliarden US-Dollar.
Die Branche steckt in der Krise. Der niedrige Ölpreis macht den Konzernen massiv zu schaffen. ExxonMobil, Shell, Statoil, BP – alle großen Wettbewerber haben in den vergangenen Wochen angekündigt, Investitionen verschieben zu müssen und ihre Geschäfte zu konsolidieren.
Die BG Group ist davon besonders betroffen. Anders als Shell oder BP hat sie keine Endkunden-Geschäfte, sondern ist den Preisen am Rohstoffmarkt hoffnungslos ausgeliefert. Der Aktienkurs des Förderexperten war im vergangenen Jahr um 30 Prozent eingebrochen. Technische Probleme, etwa in Brasilien, und personelle Querelen in der Unternehmensleitung kamen ebenso hinzu wie schlechte Zahlen.
BG ist deshalb schon seit Monaten ein Übernahmekandidat. Zum Jahreswechsel waren Gerüchte laut geworden, wonach ExxonMobil zuschlagen wolle. Doch Shell saß offenbar am längeren Hebel. „Wir sprechen schon seit einer sehr langen Zeit miteinander“, orakelte Shell-Vorstandschef van Beurden nun. Der BBC-Wirtschaftsexperte Kamal Ahmed witzelte, bei Shell seien diejenigen, die die Übernahmeverhandlungen mit BG begonnen hätten, bereits im Ruhestand. Und der Analyst Chris Bailey erklärte, das Übernahmeangebot, das mehr als 50 Prozent über dem aktuellen Aktienkurs liegt, sei ein „verspätetes Osterei“ für die BG-Aktionäre.
Eine Zukunftssicherung
An den Börsen schossen die Aktien der Ölkonzerne am Mittwoch in die Höhe – gerade bei den Unternehmen, die in den vergangenen Monaten herbe Verluste hatten hinnehmen müssen. Das könnte nach Meinung vieler Experten darauf hindeuten, dass die Shell-BG-Fusion der Startschuss für eine Übernahmewelle auf dem Energiemarkt ist. Unternehmen wie Tullow Oil oder Petrofac könnten zu weiteren Kandidaten für Fusionen werden.
Für Shell ist der Deal eine Zukunftssicherung. Mit der Übernahme würde das Unternehmen seine Rohstoffreserven auf einen Schlag um 25 Prozent erhöhen. BG ist vor allem Experte für Flüssiggas (LNG), wo auch Shell als Pionier gilt. Bei den Zahlenjongleuren in der Konzernzentrale mag die Erkenntnis gereift sein, dass der Zukauf von Fördergebieten über eine große Fusion einfacher und vor allem kostengünstiger sein kann als die eigenen Aktivitäten. Dass durch Synergien jährlich auch 2,5 Milliarden US-Dollar Kosten eingespart werden sollen, gerät da fast zur Nebensache.
Shell wird das gerade in der Arktis vor Augen geführt. Gegen erbitterten Widerstand von Umweltschützern versucht der Konzern, vor Alaska Ölfelder zu erschließen. Nach Angaben von Finanzvorstand Simon Henry kostet die Logistik für das Arktis-Projekt in diesem Jahr mehr als eine Milliarde US-Dollar – für den Fall, dass gebohrt werden kann. „Falls nicht, kostet es knapp eine Milliarde“, sagte Henry.
Auch der Marktzugang von BG dürfte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Der drittgrößte britische Gasproduzent liefert große Mengen an Naturgas nach China. Die Internationale Energieagentur, Berater aller wesentlichen westlichen Volkswirtschaften in Sachen Energieversorgung, schätzt, dass der Löwenanteil des Wachstums beim weltweiten Energiekonsum künftig aus China und Indien kommen wird.
Der Shell-Konzern
Der niederländisch-britische Konzern Royal Dutch Shell gehört zu den größten Unternehmen der Energiebranche weltweit. Shell beschäftigt 94 000 Mitarbeiter in 70 Ländern der Welt. Jeden Tag produziert Shell 3,1 Millionen Barrel (je 159 Liter) Öl oder andere Kohlenwasserstoffe. Das Unternehmen deckt die gesamte Kette des Ölgeschäftes ab. Von der Erschließung neuer Felder über die Förderung, Raffinerien und den Vertrieb zum Endverbraucher, etwa über Tankstellen. Im Jahr 2014 setzte Shell 421,1 Milliarden Dollar (387 Milliarden Euro) um und machte einen Gewinn von 12,1 Milliarden Dollar. Umweltschützer kritisieren den Konzern unter anderem wegen seiner Förderabsichten in der Arktis und wegen erheblicher Umweltverschmutzungen in Nigeria. Text: dpa