Es ist eine Szenerie, die den Charme eines Late-Night-Kiosks versprüht und dabei zugleich an Großvaters Kellerwerkstatt denken lässt: In selbstgezimmerten Regalen reihen sich Putzmittelflaschen neben Döschen, bunten Packungen abwegiger Teesorten und jede Menge Zigarettenschachteln, die erst bei genauerem Hinsehen ihr Geheimnis offenbaren.
Denn in den Hüllen von "Pflaume-Vanille" und "Viceroy Green Longs" stecken weder aromatisierter Beuteltee noch extra-schmale Menthol-Zigaretten. Sie beherbergen vielmehr, womit Josef Vogt seit 15 Jahren Tag für Tag Würzburger Heimwerker aus ihren Miseren rettet: Schrauben und Dübel – in allen erdenklichen Ausführungen.
Es ist kurz vor neun, als an diesem Vormittag die erste Kundin über die Schwelle der offenen Tür beim "Schrauben-Sepp" tritt. Die versteckte Passage im Innenhof der Bronnbachergasse ist ruhig. Im Nagelstudio nebenan brennt schwaches Licht, die Räume hinter den übrigen Schaufenstern liegen noch völlig im Dunkeln.
"Ist schon offen?", fragt die adrett gekleidete Dame mittleren Alters, die nun mit fragendem Blick im Raum steht. "Na, ich bin doch da", antwortet Josef Vogt unvermittelt und inspiziert kurz darauf die schwarze Deckenlampe, die die Kundin im nächsten Moment aus einer Kunststofftasche zieht.
Der Fall ist schnell klar: ein Konstruktionsfehler. "Da macht der Handwerker einfach die beiden Schrauben locker und dreht das einmal rum", erklärt Vogt und demonstriert dabei die entsprechenden Handgriffe. Nach einem Blick ins verunsicherte Gesicht der Kundin behebt er das Problem kurzerhand selbst.
Dann gibt er noch ein paar Montage-Tipps mit an die Hand: "Entscheidend ist, dass der Dübel in der Decke hält." Und das sei je nach Beschaffenheit der Bausubstanz gar nicht so einfach. Würde man beim Bohren nämlich zum Beispiel auf Sandstein stoßen – und das sei im Würzburger Stadtzentrum, wie Vogt aus eigener Erfahrung weiß, nicht unwahrscheinlich –, wäre das mit der sicheren Befestigung nochmal eine ganz andere Sache.
"Aber das muss ich nochmal genauer erklären, wenn’s soweit ist", schmunzelt der gelernte Technische Zeichner und entlässt die Dame mit den passenden Schrauben und Dübeln ins Wochenende. "Ach herrlich. Sie sind einfach fabelhaft!", sind ihre Worte, als sie um Viertel nach neun den Laden verlässt.
Im Geschäft herrscht nun eine Stille, die anderswo als beklemmend hätte empfunden werden können. Weder Radiomusik, noch Straßengeräusche oder Stimmen, lediglich das verhaltene Ticken einer Uhr ist zu hören. Das brummende Samstagsgeschäft der Einkaufsmeile um die Ecke liegt in scheinbar unendlicher Ferne.
Obwohl das Thermostat der kleinen, mintgrün lackierten Heizung auf höchster Stufe steht, ist es kühl im Raum. Die breiten LED-Leuchten an der Decke tauchen den Laden in ein frostiges Licht. Es ist der unverblümte Pragmatismus, von dem in der Stille dieser Wände ein entschleunigender Zauber ausgeht – der circa fünf zeitlose Minuten später sanft unterbrochen wird.
Diesmal ist es ein kurzer Besuch. Zehn Schrauben, 6 mal 70 Millimeter mit passender Mutter braucht der Kunde. "Mach ich dir", sagt Vogt zu dem jungen Mann und schiebt kurz darauf ein kleines Papiertütchen über den Tresen.
Die selbstgebaute Ladentheke besteht aus einer Arbeitsplatte wie in Küchen, die auf einem Unterbau aus Pressspan liegt. Auf ihr sind Klebebandrollen in rund zwei Dutzend verschiedenen Ausführungen, davor ein schlichtes Holzregal, an dem eine kleine Trittleiter lehnt. Darin stehen kleine, offene Pappschachteln voller Schrauben, Stück für Stück aneinandergereiht, so wie sie auch die anderen Regalbretter des Raumes füllen.
Keine freie Wand ist hier zu finden. Über einer Werkbank mit Schraubstock baumelt ein weißes, dünnes Holzschild von der Decke, auf dem mit rotem Edding "Hier geht’s weiter" zu lesen ist, zwei Pfeile darunter deuten auf einen Treppenabgang. An der Wand daneben hängen Werkzeuge, Wandhaken und Schlüsselringe – ein Vorgeschmack auf das Untergeschoss, in dem neben einem weiteren Lager für Schrauben auch Arbeitshandschuhe, Schutzbrillen und Bohrersets in schwach beleuchteten Holzregalen auf ihre Abnehmer warten.
Mit welchem Motto Josef Vogt seinen Laden führt
"Machen wir genau zwei Euro, dann passt das", nickt Vogt dem Schraubenkäufer zu, der daraufhin nicht umhin kommt zu fragen, wie sich das Geschäft überhaupt halten könne. Die Antwort: "Geht schon, immer fair bleiben."
Vor mittlerweile über 15 Jahren hatte Josef Vogt das Angestellten-Dasein als Fachprojektleiter in einem großen Industriekonzern satt – und sich damit von einem Titel verabschiedet, den er ohnehin nie hatte leiden können. Sein Bruder hatte ihn auf die Idee gebracht, einen Schraubenladen zu eröffnen. Seitdem hat der heute 61-Jährige keinen Urlaub genommen.
Wann Vogt aufhören würde
Warum auch: "Wenn’s keinen Spaß mehr macht, hör ich auf. Das hab‘ ich mir immer geschworen. Und es macht Spaß!"
Wenn es ruhig ist im Laden, überprüft er den Warenbestand, trinkt Kaffee oder sitzt hinter seinem Tresen und liest. Gerade ist es ein Buch über die griechische Göttin Gaia, das die Wahrnehmung für ganzheitliche Zusammenhänge schulen soll.
Doch weit kommt er bei der Lektüre oft nicht: "Meistens ist es so. . .", setzt er an und unterbricht sich. Die Tür geht auf, ein junger Mann betritt den Laden. ". . .wie jetzt, dass ich anfange und dann kommt jemand rein", lacht er.
10.50 Uhr. Vogt steht in seinen schweren Handwerkerschuhen vor dem Laden und raucht. Es ist die erste von zwei Zigaretten, die er heute genießen wird. Die Schachteln im Laden sind schon lange nicht mehr alle von ihm. "Die krieg ich mittlerweile schon mitgebracht."
An der Hauswand gegenüber lehnt sein Fahrrad, mit dem er später noch zu einer Freundin fahren und ihr beim Umzug helfen wird – auch wenn er sich die Wochenenden sonst immer freihält: "Die habe ich immer für mich. Außer wenn die Sonja umzieht", erklärt er mit einem Augenzwinkern.
Die Stunden des Tages plätschern unbeschwert dahin in dem Königreich der Schrauben, in dem alle Gesetze der Kapitalgesellschaft außer Kraft gesetzt scheinen. Kundschaft mit allerlei großen und kleinen Anliegen kommen in den Laden.
Und noch ein Motto vom "Schrauben-Sepp"
Vogt plaudert über das ungemütliche Wetter, die Würzburger Geschichte und seine eigene, während er mit einer Handsäge Metallketten als Meterware von großen Rollen absägt, in seiner kleinen Kaffeeküche fröhlich summend nach seltenen Schrauben-Exemplaren sucht.
Vor allem aber schenkt er allen Kunden ein Lächeln, Geduld und eine Beratung auf Augenhöhe. "Jeder Verkäufer ist irgendwann mal Kunde und jeder Autofahrer ist irgendwann mal Fußgänger."
Was es mit einem versteckten Schild im Schaufenster auf sich hat
Eine Viertelstunde nach Ladenschluss verlässt um 16.15 Uhr die vorerst letzte Kundin mit dem richtigen Satz Schrauben das Geschäft. Josef Vogt macht Feierabend, "aber ganz gemütlich". In der Innenstadt kündigt sich zusammen mit der Dämmerung das allabendliche Treiben an, das an der kleinen Passage jedoch immer noch völlig unbemerkt vorüberzieht.
Am Rand des schwach leuchtenden Schaufensters am Ende der Gasse lugt zwischen dicken Prospekten und einer Holzplatte, in der verschiedene Dübel stecken, ein Bilderrahmen hervor. Es ist eine Urkunde, ein Geschenk von Vogts Neffen: "Mitarbeiter des Monats/Jahres" steht darauf. "Wegen der guten Arbeit mit Menschen, des Fachwissens und der kundenorientierten Art."