Lkw-Fahrer dürfen während ihrer wöchentlichen Ruhezeit nicht mehr in ihren Kabinen übernachten. Doch wo sollen die Nomaden der Rastplätze stattdessen ihre Zwangspause verbringen? Wie eine gut gemeinte Vorschrift an der Wirklichkeit scheitert.
Eigentlich ist es für Barsaw Ioaw ein Wochenende wie viele andere. Doch etwas ist anders als sonst, und dennoch bleibt alles beim Alten. Zwischen der Bordwand des Lastwagens und den ersten Paletten im Heck sind noch knapp zwei Meter Platz. Hier hat der Lkw-Fahrer seinen Campingstuhl aufgestellt und eine improvisierte Küche eingerichtet. Auf dem Gaskocher brät sich der Rumäne ein Steak. Dazu Kartoffeln und eingelegte Gewürzgurken.
Ioaw verstößt gegen geltendes Recht. Denn seit im Mai das Fahrpersonalgesetz überarbeitet wurde, erfüllen Lkw-Fahrer die vorgeschriebene Ruhezeit von 45 Stunden nicht, „wenn diese im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird“.
Ioaw kennt das neue Gesetz. Wie viele seiner Kollegen habe auch er diese Nacht im Fahrzeug auf dem Parkplatz des Rasthofs Würzburg Süd geschlafen. Es war das erste Wochenende, an dem das Gesetz erstmals galt. „Niemand weiß, was passiert“, meint Ioaw und zuckt gelassen mit den Schultern.
„Diese Regelung muss jetzt strikt kontrolliert und im Zweifel auch sanktioniert werden, damit das unwürdige Campieren auf den Rastplätzen für die Lkw-Fahrer endlich ein Ende hat“, kommentierte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsism den Beschluss des Bundesrats. Das war Ende März.
Ende Mai trat das Gesetz in Kraft. Bisher wurde nicht definiert, wie eine geeignete Schlafmöglichkeit auszusehen hat. „Wir gehen davon aus, dass die Anforderungen in der Regel von allen Hotels, Motels und Pensionen erfüllt werden“, sagt Horst Roitsch, Pressesprecher des Bundesamts für Güterverkehr.
Wann dafür ein gesetzlicher Rahmen vorgegeben wird, sei noch nicht absehbar. „In den ersten drei Monaten gilt eine Schonfrist, in der das Gesetz noch nicht in voller Härte angewandt wird“, so Roitsch. So lange werden nur Verwarnungen gegenüber den Fahrern ausgesprochen.
„Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Rückkehrpflicht zum Wohnort oder zum Firmensitz keinen Eingang in das Fahrpersonalgesetz findet“, sagt Edina Brenner vom Landesverband Bayerischer Spediteure. „Denn der damit verbundene Kosten- und Organisationsaufwand hätte eine sehr große Belastung für die Speditions- und Logistikbranche bedeutet.“ Ihr Verband begrüßt die Regelung, das Fahrpersonal in „angemessenen Unterkünften vor Ort“ unterzubringen. Nach wie vor sei es wichtig, eine europäische Regelung zu schaffen, um einen fairen Wettbewerb zu unterstützen, meint Brenner. Ähnliche Regelungen gibt es in Belgien, Frankreich und Österreich. Auch die Niederlande plant ein vergleichbares Gesetz. Durch die Vorschrift soll sichergestellt werden, dass die Fahrer möglichst ausgeruht sind und sich dadurch die Verkehrssicherheit erhöht. Außerdem sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, um den Beruf des Kraftfahrers attraktiver zu machen.
Als Schwachstelle der Gesetze gilt, dass sie bisher nicht auf europäischer Ebene durchgesetzt werden konnten. So ist zu erwarten, dass Fahrer ihre wöchentliche Ruhezeit an grenznahen Rastplätzen in Ländern ohne eine solche Regelung verbringen. Da das Gesetz nur für Fahrzeuge ab einem zulässigen Gesamtgewicht von 2,8 Tonnen gilt, verbessern sich die Arbeitsbedingungen für Fahrer von sogenannten Sprinterflotten dadurch auch nicht. Einer dieser Fahrer ist Emil Goidyn. Er sitzt auf dem Trittbrett seines Sprinters. „Bei der Hitze in der Kabine zu schlafen, ist die Hölle! Es klingt merkwürdig, aber der Winter auf dem Rastplatz ist mir lieber“, sagt der Pole. In einer Sprinterkolonne, zusammen mit zwei Kollegen, fährt er morgen Richtung Nürnberg. Dort laden sie Autoteile auf und bringen sie nach Italien. Neben den Temperaturen quält ihn vor allem die Langeweile. „Ausruhen, essen und trinken – mehr machen wir hier nicht“, meint er. Plötzlich winkt Goidyn den Fahrer eines 7,5-Tonners herbei, den er am Abend zuvor kennengelernt hat. Dieser möchte namentlich nicht genannt werden. Er weiß von dem neuen Gesetz und hat die Nacht in seiner Kabine verbracht. Wie sonst auch.
„Wenn kümmert es? Sollen sie mich doch kontrollieren“, meint er und zieht an seiner Zigarette. „Wir kontrollieren, erstatten aber derzeit keine Anzeige“, sagt Polizeioberkommissar Martin Knobloch. Er ist für die Verkehrspolizeiinspektion Würzburg-Biebelried auf Autobahnen und Rastplätzen im Einsatz. „Wenn wir mitbekommen, dass ein Fahrer mehrere Wochen nicht zu Hause war, sprechen wir die Speditionen darauf an – wenn der Fahrer das möchte.“ Solange nicht genauer geregelt ist, wo sich die Fahrer tatsächlich aufhalten sollen, hat die Polizei jedoch keine Handhabe. Goidyns Bekanntschaft wurde in den vergangenen drei Jahren nur einmal von der Polizei daraufhin kontrolliert, ob er die Ruhezeiten einhielt. Damals musste er rund 150 Euro bezahlen, weil er zu lange hinter dem Steuer gesessen hatte. Das neue Gesetz hält er nicht für realisierbar. „Wo sollen wir denn hin? Wenn mir mein Chef in Zukunft ein Hotel bezahlt, gerne!“ Wo Iowa und seine Kollegen hinsollen, weiß derzeit niemand.
Dass Iowa von dem Gesetz profitiert, glaubt er nicht. Am nächsten Tag wird er sich mit seiner Ware auf den Weg nach Dettelbach (Lkr. Kitzingen) zu einem Discounter machen. Keine halbe Stunde vom Rastplatz entfernt. Was er genau geladen hat, weiß er nicht. „Aber alles ab einem Euro!“, scherzt er und zeigt auf die Paletten hinter sich. Zwischen zwei und drei Monate ist er am Stück unterwegs. Solange ist sein Fahrzeug sein Zuhause und die Laderampe seine Küche. Dann kehrt er für zwei Wochen zu seiner Frau nach Rumänien zurück, ehe er wieder weiterfährt und seine Ruhezeiten auf Rasthöfen verbringt.