Bislang ist jener Mann, der nun neuer Chef der Deutschen Bank wird, in Deutschland beinahe unbekannt. Doch in Bankkreisen gilt der Brite John Cryan als knallharter, äußerst fachkundiger Geschäftsmann. Er soll nun die Deutsche Bank wieder auf Kurs bringen.
Sein Name geistert schon seit einem Jahr durch die Gänge der Bankentürme. Seit John Cryan bei der Investmentgesellschaft Temasek ausgestiegen ist, wurde er immer wieder mit bestimmten Positionen bei Barclays und der Credit Suisse in Verbindung gebracht. Doch es war die Deutsche Bank, in deren Aufsichtsrat der Brite im Jahr 2013 gezogen war, wo er offenbar seinen steilen Aufstieg fortsetzen wollte. Er sei zufrieden bei dem deutschen Geldinstitut, soll der 54-Jährige Freunden erzählt haben.
Das scheint sich nun ausgezahlt zu haben, auch wenn schon bald deutlich größere Herausforderungen auf John Cryan zukommen werden, als er sie bislang in seiner Laufbahn erlebt hat. Der Manager löst Anshu Jain an der Spitze des Frankfurter Geldhauses ab und wird ab Mai 2016 allein für die Leitung verantwortlich sein. Der britische Geschäftsmann hat viel vor: Er soll die skandalgeplagte Deutsche Bank wieder auf Kurs bringen, das verloren gegangene Vertrauen bei Investoren und Mitarbeitern zurückgewinnen, aufräumen und gleichzeitig die eingeschlagene Richtung der Bank weiterführen.
Der Schwerpunkt, so sind sich Beobachter einig, bleibt im Großkundengeschäft. Cryan sei „die richtige Persönlichkeit zum richtigen Zeitpunkt“, sagte Aufsichtsratschef Paul Achleitner. Auch wenn der Neue der deutschen Öffentlichkeit weithin unbekannt ist, in der Bankenwelt gilt der Mann mit der markanten Halbglatze als schonungslos und hartnäckig, gleichzeitig als ausgesprochen fachkundig und effizient. Er sei „bescheiden und vertrauensvoll“, sagte ein Branchenkenner gegenüber Medien, außerdem möge er das „Understatement“ – etwas, das ihn von all jenen Bankern unterscheide, die maßgeblich für den schlechten Ruf der Banker verantwortlich sind. „Er ist rational, kaltblütig, scharfsinnig und kein Angeber“, wird ein Investor der Deutschen Bank zitiert. Dabei ist Cryan, Absolvent der englischen Elite-Universität Cambridge, selbst Investmentbanker. Der im nordenglischen Harrogate geborene Manager startete nach seinem Studium seine Laufbahn bei einem Wirtschaftsprüfer, bevor er 1987 zur Investmentbank S.G. Warburg wechselte. In jener Zeit erlernte er auch Sprachkenntnisse, die ihm nun bereits einige Vorschusslorbeeren bringen.
Er lebte in München und spricht – anders als sein Vorgänger Anshu Jain – deutsch. Er wird deshalb künftig Hauptversammlungen wieder in der Landessprache abhalten. Krisenerprobt ist der Brite ebenfalls. Nach der Übernahme der S.G. Warburg durch die Schweizer Großbank UBS arbeitete er sich bis zum Finanzvorstand nach oben. In dieser Position manövrierte er ab September 2008 als Teil des Führungszirkels die Bank durch die Krise und baute die riskanten Kreditderivate ab.
Drei Jahre später ging er zum Staatsfonds Temasek aus Singapur, wo er bis 2014 als Europa-Chef eingesetzt war. Derzeit wohnt Cryan noch in London, doch schon bald will er nach Frankfurt ziehen.