Der politische Konflikt zwischen Russland und dem Westen verunsichert deutsche Exporteure nach Einschätzung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zusehends. „Man spürt bereits Verunsicherung, besonders bei Mittelständlern“, sagte DIHK-Osteuropa-Experte Tobias Baumann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die regionalen Industrie- und Handelskammern erhielten bundesweit derzeit etwa 20 Anfragen pro Woche von Unternehmen dazu, ob ihre Produkte unter die neuen Ausfuhrbeschränkungen fallen.
Die Verwirrung und das Informationsbedürfnis dürften weiter zunehmen, nachdem der Kreml am Mittwoch mit eigenen Einfuhrverboten für ausländische Produkte zum Gegenschlag ausholte. Betroffen sind laut einem Dekret von Präsident Wladimir Putin Agrarerzeugnisse, Käse und Lebensmittel aus Ländern, die im Ukraine-Konflikt ihrerseits Strafmaßnahmen erlassen hatten. Der russische Importstopp soll für die Dauer eines Jahres gelten. Er diene den „nationalen Interessen“.
Bereits vor dem russischen Gegenschritt hatten etliche deutsche Firmen gezweifelt, ob ihr Angebot unter die Beschränkungen der EU fällt. „Entscheidend ist nicht das Gut an sich, sondern immer der Adressat des Gutes“, erklärte Baumann. „Wenn der Kunde zum Beispiel dem militärischen Bereich zuzuordnen ist, geht es nicht nur um Hightech. Es können auch Lastwagen oder Maschinenteile sein, die dann betroffen sind.“ Maßgeblich sei die „Verwendungsbasis“ der Waren.
Der Export sogenannter Dual-Use-Produkte, die sich sowohl zivil als auch militärisch nutzen lassen, müsse bei manchen Zielländern ohnehin genehmigt werden. „Nun kommt es darauf an, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle den Mehraufwand zügig abarbeitet.“
Auch in der deutschen und europäischen Landwirtschaft könnten die Sanktionen, die Russland nun selbst erließ, Folgen haben. „Der Angebotsdruck im EU-Binnenmarkt dürfte steigen“, sagte der stellvertretende Generalsekretär der Deutschen Bauernverbands, Udo Hemmerling. „Bei unseren Hauptexportprodukten ist Russland schon ein wichtiger Markt, vor allem bei Fleisch und Milchprodukten.“
Die EU hatte vorige Woche spürbare Wirtschaftssanktionen gegen Moskau beschlossen, um Russland dazu zu bringen, die Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine zu beenden. Auch die USA verschärften bestehende Strafmaßnahmen. „Der typische Fall bei uns ist, dass etwa ein Mittelständler nun berechtigterweise fragt: Was passiert jetzt? Muss ich auch besondere Genehmigungen einholen?“, berichtete Baumann.
Das Exportverbot für Spezialtechnik zur Ölförderung dürfte deutsche Zulieferer und Maschinenbauer wohl treffen. „Da geht es um hochkomplexe Produkte. Konkret haben wir dazu aber noch nichts gehört“, sagte der Referatsleiter Ost- und Südosteuropa beim DIHK.
Aber auch Hersteller, deren Produkte nicht direkt auf Verbotslisten stehen, könnten unter Sanktionsfolgen leiden – denn der erschwerte Zugang russischer Banken zu den EU-Finanzmärkten würde die Investitionsbereitschaft in Russland drücken: „Dann müssen Banken die Liquidität woanders hernehmen, was in der Folge die Kredite für die Wirtschaft verteuert. Kosten steigen, Investitionen gehen zurück.“
Ostdeutsche Firmen dürften nach Einschätzung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) stärker von den Konsequenzen betroffen sein. Russland bilde „für so manche Firma aus den neuen Bundesländern einen Exportanteil von 30, 40, 50 Prozent“, sagte Regionalchef Reinhard Pätz dem Blatt „Neues Deutschland“.
Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), stellte die Rücknahme des Ausfuhrstopps für eine Gefechtsübungsanlage in Aussicht. Bedingung jedoch: Moskau müsse seine Ukraine-Politik grundlegend ändern, sagte Erler.