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Berlin
Präsidentin Merkel
In der Wirtschaft ist die Kanzlerin noch immer hoch geschätzt. Doch selbst wenn sie eine Reform der Unternehmenssteuern absagt, bekommt die Kritik ein anderer ab.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am Vorabend der DIHK-Vollversammlung.
Foto: Jörg Carstensen, dpa | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am Vorabend der DIHK-Vollversammlung.
Christian Grimm
Christian Grimm
 |  aktualisiert: 10.12.2019 02:10 Uhr

Als die Kanzlerin das alte Straßenbahndepot durchschreitet, erheben sich die Herren der Wirtschaft und spenden Beifall. Die Chefs der Industrie- und Handelskammern aus ganz Deutschland haben sich zu ihrem Jahrestreffen versammelt. Zum Dinner haben sie Angela Merkel (CDU) eingeladen. Draußen ist die Nacht an diesem Mittwoch schon dunkler als die Anzüge der Unternehmer. Im Kontrast dazu schimmern die in den Hallen aus der Kaiserzeit ausgestellten Edelkarossen noch stärker. Merkel in rotem Blazer geht vorbei an legendären Modellen von Daimler, Porsche, Opel und BMW. Es sind Oldtimer. Die Kanzlerin ist seit anderthalb Jahrzehnten an der Macht. Sie spielt damit in der Liga von Adenauer und Kohl. In gewisser Weise ist Angela Merkel ein Oldtimer der Macht.

Als sie die Stufen zum Rednerpult hochsteigt, stolpert die Kanzlerin. Gerade noch kann sie sich abfangen. Ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war erst kürzlich böse gestürzt. Für jeden anderen wäre es ein kleiner Fehltritt, aber in der Symbolsprache der Politik wäre ein (Treppen-)Sturz Merkels im Herbst ihrer Regentschaft an Kraft kaum zu überbieten gewesen. In ihrer Rede bringt sie die Punkte, die den Unternehmen unter den Nägeln brennen – und bekommt dafür Beifall von den festlich gedeckten Tischen. Die Verwaltung Deutschlands müsse endlich weg kommen von Akten aus Papier und digital werden, fordert die Kanzlerin. „Das wäre natürlich eine Revolution“, sagt sie – und macht gleichsam deutlich, wie schwer das Ziel zu erreichen sein wird. Denn Bürokratie ist Ordnung und das Gegenteil von Umwälzung.

Merkels kleiner Fehltritt

Mit der neuen EU-Kommission will sie einen Vorstoß für ein neues Freihandelsabkommen mit den USA starten. „Durch solch einen Handel entstehen Win-Win-Situationen“, erklärt Merkel. Der Herr im Weißen Haus heißt dummerweise Donald Trump und hat immer noch alle Chancen, Ende nächsten Jahres wiedergewählt zu werden. Trump ist ein Gegner des freien Handels. Über ein Handelsabkommen mit Washington werden vielleicht Merkels Nachfolger befinden, die amtierende Regierungschefin nicht mehr.

Den stärksten Zwischenapplaus bekommt die 65-Jährige, als sie die Forderung der Wirtschaft nach niedrigeren Steuern aufgreift. Zugleich ist Merkel so ehrlich zuzugeben, dass die Senkung der Sätze mit der Großen Koalition nicht mehr kommt. „Für eine große Unternehmenssteuerreform sehe ich die Gelegenheit noch nicht“, räumt sie ein. Die Union werde sich gleichwohl dafür einsetzen, verspricht sie.

Übernächstes Jahr wird Angela Merkel das Ruder der Bundesrepublik abgeben, sollte das Bündnis mit der SPD so lange halten. Es könnte auch sein, dass die Genossen der ungeliebten Koalition schon am Wochenende den Stecker ziehen, sollten sie sich gegen Vizekanzler Olaf Scholz als Parteichef entscheiden. Die großen Projekte, die sie in ihrer Rede skizziert hat, kann Merkel bestenfalls anschieben, aber nicht mehr kraftvoll gestalten. Die versammelten Unternehmer wissen das. „Für eine Steuerentlastung für Firmen müsste sie alles Gewicht in die Waagschale werfen. Das wird sie nicht mehr tun“, ist sich einer sicher. Er zieht es vor, anonym zu bleiben.

Ungebrochen hohe Wertschätzung

Die Wertschätzung für Merkel ist ungebrochen hoch, ein öffentlicher Angriff ziemt sich nicht. Zu groß ist der Respekt vor der Leistung, die Regierung so lange geführt zu haben. Ihre Enttäuschung über die Wirtschaftspolitik lasten die IHK-Oberen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) an. Er wollte der Erbe Ludwig Erhards werden, schaffte es aber, den Mittelstand gegen sich aufzubringen. Enttäuschung hat sich auch über die CDU breit gemacht, deren Vorsitzende Merkel fast zwanzig Jahre war. Früher war sie eine Partei der Wirtschaft, doch Merkel rückte sie nach links. Das schwächte zwar die SPD, führte aber letztlich seit 2013 zu einer großen sozialdemokratischen Koalition. Mindestlohn, Rente mit 63, Grundrente gehen auf ihr Konto. Der nächste saure Apfel für die Wirtschaft wird die Begrenzung von befristeten Verträgen sein, die sich CDU/CSU und SPD noch für nächstes Jahr vorgenommen haben.

Die Unzufriedenheit mit dieser Politik wird der Kanzlerin aber nicht persönlich angelastet. Sie nimmt mittlerweile die Rolle eines zweiten Staatsoberhauptes ein, das über dem Gezänk der Tagespolitik steht. Entscheidende Weichenstellungen werden von ihr nicht mehr erwartet. Nach beinahe zehn Jahren Wachstum kühlt sich die Konjunktur merklich ab. „Die Fragezeichen dominieren, die Unsicherheit wächst“, mahnt der Präsident der IHK-Präsidenten, Eric Schweitzer, in seiner kurzen Eröffnungsansprache zu Beginn des Abends. Er mahnt seit Monaten, doch es passiert nichts mehr in seinem Sinne.

 
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