Der Blick könnte grandioser kaum sein. Wenn Bahnchef Richard Lutz aus den großen Glasfenstern seines Büro im 25. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz blickt, liegt ihm Berlin zu Füßen, das Reichstagsgebäude, das Kanzleramt und der Hauptbahnhof sind in Sichtweite, dahinter lassen sich das Wirtschafts- und das Verkehrsministerium erahnen.
In diesen Tagen allerdings hat Lutz keine Gelegenheit, sich an diesem einzigartigen Blick zu erfreuen, im Gegenteil, der Bahnchef weiß, dass genau dort, im Verkehrsministerium, im Dreieck zwischen Kanzleramt, Bundestag und Verkehrsministerium, über seine Zukunft an der Spitze des Unternehmens entschieden wird, das sich unverändert zu 100 Prozent in Besitz des Bundes befindet. Seit eineinhalb Jahren erst leitet der 54-jährige Betriebswirt als Nachfolger von Rüdiger Grube die Geschicke des Konzerns, der mit seinen mehr als 315.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 42,7 Milliarden Euro erwirtschaftet, eigentlich läuft sein Vertrag noch dreieinhalb Jahre. Gleichwohl wird in Berlin längst über seine Ablösung diskutiert.
Politik ist mit ihrer Geduld am Ende
Denn die Politik ist mit ihrer Geduld am Ende, ist unzufrieden über das Chaos bei der Bahn, über die chronische Unpünktlichkeit und die stark gestiegene Zahl an Zugausfällen, aber auch über das Kompetenz- und Machtgerangel innerhalb des Konzerns, über die ausufernde Bürokratie, unklare Verantwortlichkeiten und unterbliebene Investitionen. Vom Bahnchef erwarten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und die Verkehrsexperten aller Bundestagsfraktionen rasch ein tragfähiges Konzept, wie die Bahn bis Sommer pünktlicher, besser, profitabler und kundenfreundlicher wird. So ist nach den Worten Scheuers unter anderem ein besseres Baustellen-Management nötig, um die Engpässe auf den Hauptverkehrsrouten in den Griff zu bekommen.
Ein erster Krisengipfel, zu dem Scheuer den Bahnchef am Mittwoch in der Früh um 7.00 Uhr in sein Ministerium zitiert hatte, blieb erst einmal erwartungsgemäß ohne Ergebnis. Lutz, der von seinen Vorstandskollegen Ronald Pofalla (zuständig für die Infrastruktur), Alexander Doll (Finanzen) und Berthold Huber (Fernverkehr) begleitet wurde, präsentierte dem CSU-Minister sowie den für die Verkehrspolitik zuständigen Experten von Union und SPD die Grundzüge seiner Reformpläne. Wie zu hören war, wolle er zunächst die internen Strukturen im Konzern straffen und die Zuständigkeiten für ihre mehr als 700 Beteiligungen und in diversen Aktiengesellschaften organisierten Tochterbetriebe im Konzernvorstand bündeln, indem der Vorstand auf acht Mitglieder erweitert wird.
Krisengipfel ohne konkrete Ergebnisse
Doch damit kommt weder frisches Geld in die Kasse der Bahn, das diese für ihre Investitionen dringend benötigt, noch werden die Züge pünktlicher. Schon im November hatte Lutz dem Aufsichtsrat eine rund 20-seitige „Agenda für eine bessere Bahn“ vorgelegt, für deren Umsetzung einschließlich der jüngst vereinbarten Tarifabschlüsse rund fünf Milliarden Euro zusätzlich benötigt werden, von denen vier Milliarden noch nicht finanziert sind. Auf dem Kapitalmarkt kann sich die Bahn kein frisches Geld mehr besorgen, da die vom Haushaltsausschuss festgesetzte Schuldenobergrenze von 20,4 Milliarden Euro fast erreicht ist. Immer wieder im Gespräch ist daher ein Verkauf der überaus profitablen britischen Bahngesellschaft „Arriva“, die der Vorgänger von Lutz, Rüdiger Grube, für rund drei Milliarden Euro gekauft hat. Sie könnte nun rund 3,5 Milliarden bringen. Auch Scheuer zeigte sich am Dienstag dafür offen, allerdings dürfe man ein „sehr interessantes Unternehmen“ nicht leichtfertig auf dem Markt platzieren. Zudem könnte sich die Bahn auch von dem Logistikunternehmen „Schenker“ trennen, das unter dem Dach der defizitären „DB Cargo“ angesiedelt ist. Alternativ ist eine Kapitalerhöhung durch den Eigentümer, den Bund, im Gespräch.
Nach gut dreieinhalb Stunden ging der Krisengipfel ohne konkrete Ergebnisse zu Ende, bereits am morgigen Donnerstag soll es eine Fortsetzung geben, zudem sei noch ein weiterer Termin im Januar ins Auge gefasst worden. Sein Ziel sei es, dass man „einen großen Schritt“ vorankomme, sagte Scheuer hinterher. Bis Sommer müsse die Bahn dokumentieren, was besser geworden sei. Das erste Gespräch sei „sehr konstruktiv, aber auch sehr konzentriert“ gewesen. Dagegen sagte der für die Bahn zuständige Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU), er sei „nicht zufrieden“ mit den Vorschlägen, die Bahnchef Lutz vorgelegt habe, sein Staatssekretär-Kollege Steffen Bilger (CDU) bemängelte: „Es könnte noch ein bisschen konstruktiver werden.“. Ein Bahnsprecher sprach hingegen von einem „guten Auftakt“. Zunächst sei es „eher ums Grundsätzliche“ gegangen, bei dem treffen am Donnerstag wolle man die geplanten Verbesserungen und Maßnahmen „im Detail erklären“.