„Sehen Sie: Das ist Spitzenqualität – made in France!“ Wenn Bruno Bouygues Besucher durch seinen Betrieb Gys in Laval im französischen Loire-Tal führt, sprüht er vor Enthusiasmus. Der energische junge Firmenchef kennt jeden Handgriff in der Fabrik für Schweiß- und Batterieladegeräte, die er 1997 gemeinsam mit seinem Vater gekauft hat. Seitdem stieg die Zahl der Mitarbeiter von 40 auf mehr als 450 weltweit, inzwischen exportiert Gys in über 110 Länder und unterhält Filialen in China, Großbritannien und Indien und seit 2006 in Aachen. „Begeisterung für Industrie und Technologie sind keine Frage der Nationalität“, sagt Bouygues. Als typisch französisch gilt diese Begeisterung jedoch nicht.
Auch sind mittelständische, familiengeführte Betriebe mit einer erklärten Export-Strategie in Frankreich rar gesät, das viele sehr kleine Betriebe zählt und eine Reihe mächtiger Großkonzerne. Und Erfolgsgeschichten wie die von Bruno Bouygues hört man zurzeit selten – auch weil man sie kaum erzählt: In Wirtschaftskreisen wird immer öfter über das „French-Bashing“ geklagt, also das reflexhafte Niedermachen der französischen Wirtschaft in der nationalen und internationalen Presse. Erfolgreiche Bereiche von der Luxusindustrie über die Pharma- und Nahrungsmittelbranche bis zur Luft- und Raumfahrt blieben dabei außer Acht.
Paris sucht noch Ende der Krise
Auch Umfragen illustrieren eine pessimistische Stimmung. Drei Viertel der Franzosen befürchten eine Verschlechterung der Wirtschaftslage. Der Konsum der Privathaushalte, ein wichtiger Konjunkturmotor, ging im ersten Trimester 2014 um 1,2 Prozent zurück. Noch immer sucht Frankreich ein Ende der Krise und der dramatischen Deindustrialisierung der letzten Jahrzehnte mit ihren verheerenden sozialen Folgen.
So sank der Anteil der französischen Industrie am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 24 Prozent im Jahr 1980 auf zehn Prozent 2012 – in Deutschland liegt er etwa doppelt so hoch. Rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze gingen in diesem Zeitraum verloren.
Präsident François Hollande kämpft bisher vergeblich gegen die hohe Arbeitslosenquote von knapp elf Prozent. Nun erklärte er, bei den Wahlen 2017 nicht mehr anzutreten, sollte sich die Lage nicht bessern. Allerdings hütet er sich davor, den Fehler des früheren sozialistischen Premierministers Lionel Jospin zu wiederholen, der 1999 gegenüber Massenentlassungen beim Reifenhersteller Michelin zum allgemeinen Entsetzen seine Macht- und Ratlosigkeit eingestand: „Der Staat kann nicht alles.“
Um Handlungsfähigkeit zu beweisen, schaltete sich die Regierung in die Übernahmeschlacht um das Transport- und Energieunternehmen Alstom ein, als Verhandlungen mit dem US-Konzern General Electric über eine Übernahme der Energiesparte bekannt wurden. Alarmiert über die Gefahr, mit dem Hersteller des Hochgeschwindigkeitszugs TGV ein nationales Flaggschiff großteils in amerikanische Hände gehen zu lassen, zitierte die Regierung Alstom-Chef Patrick Kron herbei.
Ausdrücklich unterstützt sie das eilig ausgearbeitete Gegenangebot von Siemens, das durch einen Tausch von Geschäftsbereichen zwei europäische Champions schaffen könnte – einen in der Zug-, den anderen in der Energietechnik.
Misstrauen gegenüber Märkten
Neben der Angst um Verlust von Arbeitsplätzen und Entscheidungszentren fürchtet die Regierung das Signal, das von einer Zerschlagung des Traditionsunternehmens ausgehen würde. Zwar wollen Hollande und sein neuer Premierminister Manuel Valls gegen Widerstände in der eigenen Partei die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch milliardenschwere Abgabenerleichterungen erhöhen. Doch als problematisch gelten ein stark reglementierter Arbeitsmarkt, eine wechselhafte Steuerpolitik und vergleichsweise hohe Stückkosten.
Die Autoren einer aktuellen Bertelsmann-Stiftung beschreiben in Frankreich „kulturell ein fundamentales Misstrauen gegenüber den Märkten und einen weitverbreiteten Glauben daran, dass das Staatshandeln ein effizienter Weg ist, um die Wirtschaft zu lenken und Probleme zu lösen“. Alles kann der Staat aber nicht – auch nicht in Frankreich.