Über seinen Job will so mancher Deutsche-Bank-Mitarbeiter derzeit lieber nicht reden. Skandale, strafende Aufseher, meuternde Aktionäre – Deutschlands größtes Geldhaus ist angeschlagen. Umso größer sind die Erwartungen an den neuen starken Mann an der Konzernspitze: An diesem Mittwoch löst John Cryan als Co-Chef Anshu Jain ab, nach der Hauptversammlung Mitte Mai 2016 soll der Brite den Dax-Konzern dann alleine führen. Der überraschende Machtwechsel, der an einem sonnigen Sonntag Anfang Juni in den Glastürmen der Deutschen Bank in Frankfurt in höchster Not beschlossen wurde, könnte – so hoffen viele – endlich die Trendwende bringen. Die Börse bejubelte Cryans Berufung zumindest kurzzeitig mit einem kräftigen Kurssprung. Viele Analysten sehen den Vorstandsumbau als positiv. „Wir glauben, dass ein neuer Chef eher in der Lage sein wird, harte Entscheidungen zu treffen und das Kostensenkungsprogramm schneller umzusetzen“, kommentierte etwa die Ratingagentur Fitch. Über die Trennung von der Postbank hinaus will die Deutsche Bank bis 2020 ihre operativen Kosten jährlich um zusätzliche 3,5 Milliarden Euro senken. Diese Strategie hatte Cryan noch als Aufsichtsratsmitglied abgesegnet, nun muss er sie mit Leben füllen.
Dass er dabei eigene Duftmarken setzen wird, ist zu erwarten. Das „Manager Magazin“ schrieb kürzlich, Cryan strebe an, die „teils groteske Zentralisierung“ in dem Konzern zu beenden. Um die Sparziele zu erreichen, wolle der 54-Jährige die Geschäftssparten stärker in die Verantwortung nehmen.
Auf Widerstand könnte Cryan im Investmentbanking stoßen, wo der scheidende Co-Chef Jain seine Getreuen („Anshus Army“) um sich scharte. Der Führungswechsel könnte dort zu Gewinneinbußen führen, meinen die Fitch-Analysten. Sie äußern die Sorge, dass viele weitere Spitzenkräfte ihrem langjährigen Chef folgen und die Bank verlassen könnten. Zudem bleibe abzuwarten, inwieweit Cryan es schaffen werde, „für den notwendigen Kulturwandel in den Investmentbanking-Abteilungen zu sorgen, der offensichtlich nicht da ist“, sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
Immerhin: Cryan eilt der Ruf voraus, ein erfolgreicher Sanierer zu sein. Bei der UBS entrümpelte er die Bilanz und war mitten in der jüngsten Finanzkrise maßgeblich an einer radikalen Umstrukturierung des Schweizer Finanzriesen beteiligt. In der Deutschen Bank wird der Brite als ausgewiesener Branchenkenner geschätzt. Dass er sein Berufsleben vor allem außerhalb der Frankfurter Zwillingstürme verbracht hat, wird überwiegend als Vorteil gewertet.
Allerdings löst der abrupte Chefwechsel keineswegs die grundlegenden Probleme der Bank. Analysten sehen eine gewaltige Kapitallücke. Denn Rechtskosten und Konzernumbau zehren Milliarden auf, dazu kommen die sich weiter verschärfenden Vorgaben der Aufseher weltweit.
Erneut frisches Geld bei Investoren einzusammeln, könnte für die Deutsche Bank teurer werden: Der Ratingriese Standard & Poor's senkte die Langfristnote für die Kreditwürdigkeit des Instituts erst kürzlich auf „BBB+“.
„Am Ende ist ein personeller Neuanfang die glaubwürdigste Lösung“, sagt ein hochrangiger Manager aus dem Deutsche-Bank-Konzern. Bislang ist John Cryan in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt. Viel Zeit, Investoren und Aktionäre zu überzeugen, bleibt ihm nach drei turbulenten Jahren der Doppelspitze Jain/Fitschen nicht.