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Würzburg/Leinach
Markthändler: Kalte Finger sind das kleinste Problem
Einen Marktstand zu betreiben, ist kein leichtes Geschäft. Wir haben Markthändler in Würzburg einen Tag lang begleitet. Kalte Finger waren das geringste Problem.
Kalt, früh, jeden Tag: Händler wie die Leinachtaler Obstbauern - hier beim Standaufbau um 7.30 Uhr auf dem Würzburger Marktplatz - verkörpern noch die alte Markttradition.
Foto: Dita Vollmond | Kalt, früh, jeden Tag: Händler wie die Leinachtaler Obstbauern - hier beim Standaufbau um 7.30 Uhr auf dem Würzburger Marktplatz - verkörpern noch die alte Markttradition.
Lukas Kroll
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:33 Uhr

Ihr Atem steigt in Form von weißen Wolken auf, während Cäcilie Muselmann und Norbert Schraut hölzerne Latten aus dem Anhänger ihres weißen Transporters auf Metallgestellen ausbreiten. Es ist kurz nach halb acht in der Früh und noch immer dunkel, als der Marktstand des Familienbetriebs „Leinachtaler Obstbauer“ allmählich seine Form annimmt.

Die beiden spannen Planen mit der Aufschrift des Betriebs an den Gestellen entlang und beginnen schließlich, 45 grüne, mit Obst gefüllte, und blaue, mit Marmeladen und Honig gefüllte Kisten aus dem Transporter zum Stand zu tragen. Die Obstkisten wiegen jeweils etwa 18 Kilo. „Wir brauchen kein Fitnessstudio. Das ist unser tägliches Fitnessprogramm“, scherzt Norbert Schraut.

Cäcilie Muselmann kennt ihre Kunden auf dem Würzburger Markt gut.
Foto: Dita Vollmond | Cäcilie Muselmann kennt ihre Kunden auf dem Würzburger Markt gut.

Währenddessen fängt Cäcilie Muselmann bereits an, alle Kisten an die vorgesehenen Stellen zu sortieren. „Es kommt alles immer an denselben Platz. So dass ich es auch ohne Suchen im Dunkeln wiederfinde und mir die Kunden zeigen können, von wo sie beim letzten Einkauf die Sachen genommen haben.“

Ihr Blick fällt auf die grüne Kiste mit den Birnen: „Birnen sind Mimosen. Die bekommen sehr schnell braune Stellen. Das tut der Frucht nichts, sieht aber nicht so schön aus.“ Und so stellt sie die Kiste zu den Angeboten auf einen Stapel etwas außerhalb des eigentlichen Standes.

Während Nobert Schraut eine Geldkassette für das Wechselgeld, zwei Waagen, sowie einen mit Gas betriebenen Ofen hinter den Metallgestellen platziert, ordnet die Verkäuferin die einzelnen, mit einem rot-weiß-kariertem Deckel versehenen Marmeladengläser nebeneinander auf einem Tisch an. Nach anderthalb Stunden ist schließlich alles aufgebaut.

„Ich hole mir noch schnell einen Kaffee. Pass du mal so lange auf den Stand auf“, ruft Cäcilie Muselmann Norbert Schraut zu, lächelt und verschwindet. Schraut füllt noch ein paar letzte Kisten mit Äpfeln auf und begibt sich dann hinter die Standtheke.

Seit 1996 arbeitet er als Verkäufer auf dem Marktplatz. „Das Einkaufsverhalten der Leute hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verschoben“, erzählt er. „Die Leute bekommen heute alles auf einen Schlag im Supermarkt und viele fragen gar nicht mehr nach, woher die Sachen eigentlich kommen.“ Deshalb sei die Zahl der Kunden vor allem unterhalb der Woche in den vergangenen Jahren gesunken.

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In seiner Anfangszeit sei der Andrang von Kunden manchmal am frühen Morgen bereits so groß gewesen, dass die Verkäufer ihre Waren aus dem Autofenster verkauft hätten. Trotz des Wandels mache ihm sein Beruf nach all den Jahren noch immer Spaß: „Wenn man frei von der Leber babbeln kann, ist das am Markt was Herrliches.“ Er fügt an: „Einmal Marktknolle, immer Marktknolle.“

Cäcilie Muselmann kommt mit einem Becher Kaffee zurück an den Stand, woraufhin sich ihr Kollege Schraut bis zur Mittagspause verabschiedet. Zu dieser Jahreszeit helfe er vor allem beim Auf- und Abbau und vertrete seine Kollegin zur Mittagszeit.

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Muselmann stellt den Kaffeebecher am Rand einer der Warentische ab und schaut dann den vorbeilaufenden Menschen zu. Hin und wieder grüßt sie mit einem fröhlichen „Guten Morgen“. Dann erklärt sie: „Wir sind nicht nur Verkäufer, sondern auch Seelsorger. Ich kenne viele meiner Kunden, weil sie immer wieder kommen. Da spricht man auch über private Dinge.“

Wichtig sei, dass man den Beruf mit Leidenschaft mache. Auch Höflichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und vor allem Spaß gehörten dazu. „Sobald ich am Stand bin, bin ich gut drauf.“

Die Verkäuferin trägt eine schwarze Softshelljacke sowie Wanderschuhe mit Einlagen und dicken Socken. Während am Stand Passanten warm eingepackt mit Mütze, Schal und Handschuhen vorbeilaufen, trägt sie ihre Jacke geöffnet. Trotzdem gehe das Wetter manchmal durch und durch. Sie freue sich dann auf die warme Dusche nach der Arbeit.

"Ich bin abgehärtet."
Markthändlerin Cäcilie Muselmann über ihren Umgang mit der Kälte.

Es sei sehr wichtig, sich passend zu kleiden. „Man muss besonders auf Füße, Hände und die Ohren achten.“ Vor den viereckigen Gasofen, der schon seit den frühen Morgenstunden läuft, stelle sie sich aber nur ungern. „Ich bin aus einer Generation, in der es früher zu Hause nicht in jedem Raum eine Heizung gab. Ich bin abgehärtet.“

Klamme Finger: Norbert Schraut muss auf dem Marktstand auch mit Minusgraden zurechtkommen.
Foto: Dita Vollmond | Klamme Finger: Norbert Schraut muss auf dem Marktstand auch mit Minusgraden zurechtkommen.

Sich Zeit für den Kunden zu nehmen, dies mache den Markt aus. „Am schönsten an meinem Beruf ist der Kontakt mit den Menschen. Aber man muss das können.“ Zu viel Kontakt sei auch nicht gut, schließlich dürfe man nicht aufdringlich wirken. „Die Wertschätzung der Leute motiviert mich sehr. Wenn jemand kommt und zu mir sagt: ‚Du bist so nett‘, dann wachse ich gefühlt zwei Zentimeter“, sagt sie und lächelt.

"Für die nette Apfelfrau": Kunden kommen mit Geschenken

Es habe sogar schon Kunden gegeben, die Zeichnungen und Gemälde für sie angefertigt hätten. „Ein Kind hat mir ein Bild gemalt auf dem stand: für die nette Apfelfrau.“ Ein anderer Kunde habe ein Ölgemälde von ihr angefertigt und es ihr später geschenkt. „Ich habe mich riesig gefreut und zu meinen Kindern gesagt, dass sie das später nicht verkaufen dürfen.“ Die Verkäuferin lacht: „Das wird mal die Mona Lisa von Würzburg.“

Insgesamt kann man an ihrem Stand 20 Lagerapfelsorten kaufen sowie 15 Sorten, die es nur in der Sommerzeit gibt. „Kurz nach dem Pflücken habe ich auch noch meine Probleme, die Apfelsorte zu erkennen, sonst sehe ich es aber eigentlich direkt“, sagt sie. „Im Notfall beiße ich halt mal rein.“ Spätestens dann wisse sie, um welche Apfelsorte es sich handle. „Oft kommen auch Leute, die mich um Rat fragen, was für Obst wozu passt. Da kann ich gut helfen, weil ich selber gerne koche.“ Die Apfelsorte Elstar eigne sich zum Beispiel gut für Obstsalat, weil der Apfel nicht so schnell braun werde.

„Ich möchte gerne die örtlichen Obstbauern unterstützen. Auch der Umweltschutz liegt mir am Herzen. Ich finde es gut, wenn lange Transportwege vermieden werden“, erklärt Erika Schubert. Sie ist Kundin am Markstand. „Auch über das nette Gespräch, welches kostenlos mitgeliefert wird, freue ich mich.“

Was die Marktfrau bei Kunden beobachtet hat

Cäcilie Muselmann hat beobachtet, dass Kunden inzwischen wieder mehr Wert auf Qualität legen. Allerdings: „Die Leute möchten zwar Bio. Doch die wenigsten denken darüber nach, was Bio bedeutet. Bio bedeutet, dass die Produkte auch mal Schorf oder Wurmstellen haben dürfen. Und für mich bedeutet Bio, dass auch die Böden unbelastet sind.“

Inzwischen ist es Abend geworden. Die Verkäuferin ist dabei, die Inventurliste für den nächsten Tag auszufüllen. Sie stellt zufrieden fest: „Vom Fruchtsaft ist viel verkauft und die Birnen sind auch fast alle.“ Kurze Zeit später kommt Norbert Schraut mit dem weißen Transporter vorgefahren. „Am Abend machen wir beim Abbau alles vom Vormittag nochmal - in der entgegengesetzten Richtung“, sagt er.

Als alle Kisten im Fahrzeug verstaut sind, beginnen die beiden Marktverkäufer die metallischen Gestelle zusammenzulegen und die Marktschirme zusammenzuklappen. Alles wird mit einer olivgrünen Plane zu einem Paket zusammengepackt und mit Gewichten beschwert. Für die beiden beginnt nun der Feierabend. Und schon bald der nächste Tag auf dem Markt.

Marktkaufleute in Bayern
Im Freistaat sind 300 Marktkaufleute im "Landesverband der Marktkaufleute und der Schausteller" in München organisiert. Die Tendenz sei rückläufig, teilte Verbandsgeschäftsführer Jürgen Wild mit. Wegen des landwirtschaftlich intensiven Umlandes seien in Franken die Märkte in Nürnberg (Hauptmarkt), Bamberg, Coburg, Erlangen und Fürth so etwas wie Ballungszentren der Markthändler.
Ihre wirtschaftliche Situation werde zunehmend schlechter, so Wild. Einer der Gründe: "Es gibt immer weniger Menschen, die frisch kochen", die also zum Beispiel frisches Gemüse vom Markt brauchen. Hinzu komme, dass Discounter wie Aldi und Lidl sowie Anbieter wie Edeka ein breites Angebot an Lebensmittel haben. "Die Markthändler können die Preise der Discounter zumeist nicht halten", hat der Verbandsgeschäftsführer beobachtet. Jene Marktkaufleute, die allein von ihrem Metier leben können, "werden immer weniger". (aug)
 
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