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NEU-DELHI/BANGALORE
„Make in India“ statt „Made in China“?
Indischer Produktionsstandort: Arbeiterinnen im Werk des hessischen Gehäuse- und Schaltschranktechnikanbieters Rittal im indischen Bangalore.
Foto: dpa | Indischer Produktionsstandort: Arbeiterinnen im Werk des hessischen Gehäuse- und Schaltschranktechnikanbieters Rittal im indischen Bangalore.
reda
 |  aktualisiert: 08.04.2015 18:23 Uhr

„Eine Goldgrube ist Indien nicht“, sagt Reinhard Ling. Er ist Geschäftsführer der indischen Tochter des Solarhändlers IBC Solar aus dem fränkischen Bad Staffelstein. Seit zweieinhalb Jahren sei er nun auf dem Subkontinent, „und ich erlebe immer wieder Überraschungen“: unglaublich viel Bürokratie, Vorschriften mit Umwegen und lokale Gruppen, die Baustellen blockieren, wenn man sie nicht beschäftigt. „Indien ist der schwierigste Markt, den ich bisher erlebt habe“, sagt Ling.

Die Zahlen geben ihm recht: Im Weltbank-Ranking zum „Ease of Doing Business“ liegt das Schwellenland nur auf Platz 142 von 189. Wenn es um Baugenehmigungen geht, sogar nur auf Rang 184, beim Durchsetzen von Verträgen auf Platz 186. Das alles soll sich nun allerdings ändern. Der neue indische Premierminister Narendra Modi war im Mai vergangenen Jahres mit einem ambitionierten wirtschaftspolitischen Kurs angetreten. Unter dem Slogan „Make in India“ wirbt er um ausländische Investoren.

Sein erklärtes Ziel ist es, bis zum Jahr 2025 den Anteil der Produktion von derzeit 15 auf dann 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Dafür tourt Modi um die Welt und kommt nun erstmals auch nach Deutschland.

Am Sonntag wird er die weltgrößte Industrieschau Hannover Messe eröffnen, auf der Indien in diesem Jahr Partnerland ist. Deutsche Unternehmen sollen zukünftig „im großen Stil“ in Indien aktiv sein, sagt im Vorfeld des Branchentreffs Amitabh Kant, Staatssekretär im Handels- und Industrieministerium in Neu-Delhi.

„Indien wird jetzt ein Teil der weltweiten Lieferkette“, sagt Kant weiter. Was er meint: Wenn derzeit die Löhne der Arbeiter in der Werkbank China steigen, könne die Industrie stattdessen in das 1,3-Milliarden-Land Indien kommen, wo jeden Monat eine neue Million junger Menschen nach einem Job sucht. Modis Regierung will im laufenden Finanzjahr 2015/2016 ein Wachstum von 8,1 bis 8,5 Prozent vorlegen – das wäre mehr als China. Laut Kant ist Indien eine „Oase“ in der globalen öden wirtschaftlichen Landschaft.

Solarhändler Ling aber ist skeptisch. Er spricht zwar von einer Aufbruchstimmung, die sich dank Modis Versprechen in den vergangenen Monaten breitgemacht habe. „Aber in der täglichen Arbeit ist nichts leichter oder schneller geworden“, sagt er. Das meint auch Johannes T. Grobe, Indien-Chef der Bosch-Industriesparte Rexroth. So sei etwa das komplizierte System aus Zöllen und Steuern bislang nicht verändert worden. „Noch immer will an jeder Brücke jemand ein bisschen Geld haben.“

Dennoch gilt für das Unternehmen für Antriebs- und Steuerungstechnik aus dem unterfränkischen Lohr am Main: Seit 1991 wurde der Umsatz in Indien alle zwei bis drei Jahre verdoppelt. Auch für den hessischen Gehäuse- und Schaltschranktechnikanbieter Rittal war 2014 das bislang beste Jahr in Indien. „Aber ob das wegen der neuen Regierung war, kann ich nicht sagen“, gibt Indien-Leiter Ajay Bhargava zu.

Bhargava beklagt die häufigen Stromausfälle – „jeden Tag zwei Stunden Blackout hier in Bangalore“ –, die nach wie vor hohen Transportschäden seiner Ware und die oft mangelnde praktische Ausbildung der Inder. „Wir bekommen einfach keine Mitarbeiter mit den Fähigkeiten, die wir brauchen“, sagt er. Neue Mitarbeiter müssten stets nachgeschult werden.

Bazmi Husain, Indien-Chef des Schweizer Technologiekonzerns ABB, geht in seiner Modi-Einschätzung sogar schon einen Schritt weiter. „Der anfängliche Enthusiasmus ist abgeflaut“, sagt er. Denn alle hätten auf große Veränderungen gewartet – bislang vergeblich. „Der Investitionszyklus muss beginnen. Das private Kapital tut es nicht, also muss die Regierung groß investieren, vor allem in Straßen und Häfen“, fordert er.

Rashmikant Joshi, Indien-Geschäftsführer des Automatisierungsspezialisten Festo, hingegen meint, der Weg nach vorne sehe gut aus: „Jetzt kann es in Indien nicht mehr nach hinten losgehen oder langsamer werden.“

Deutsch-indische Wirtschaftsbeziehungen

Indien will sich als diesjähriges Gastland der weltgrößten Industrieschau Hannover Messe als zuverlässiger Partner für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen präsentieren. „Wir möchten zeigen, dass unsere Regierung die Fähigkeit besitzt, ein positives Wachstumsklima zu schaffen“, sagte der indische Botschafter Vijay Gokhale am Mittwoch bei einer Vorschau auf den Branchentreff in Hannover. „Wir glauben fest daran, dass wir auf unserem Wachstumsweg auch mit Deutschland voranschreiten können.“ Nach einem Jahrzehnt, in dem sich das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien verdreifachte, schrumpft es seit 2011. Hoffnungen ruhen nun auf dem Reformkurs des neuen Premiers Narendra Modi.

Deutschland ist Indiens wichtigster Handelspartner in Europa – umgekehrt liegt Indien bei deutschen Ein- und Ausfuhren auf Rang 25. Zuletzt exportierte Deutschland Waren im Wert von 9,2 Milliarden Euro auf den Subkontinent, etwa Maschinen, chemische Erzeugnisse und Elektrotechnik. Güter im Wert von 6,9 Milliarden Euro wurden importiert. Laut der Deutsch-Indischen Handelskammer haben sich mehr als 1000 deutsche Firmen in dem aufstrebenden Schwellenland angesiedelt. Rund 200 davon sind mit eigener Produktion aktiv. Text: dpa

 
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