70 Millionen Dollar in weniger als zehn Minuten. Einem Wettkampf gleich peitschen im Londoner Auktionshaus Christie's vier Bieter den Preis für Francis Bacons „Portrait of George Dyer Talking“ in die Höhe. Als der Hammer an diesem Abend im Februar fällt, hat die Kunstwelt einen weiteren Rekord, die Arbeit ist das teuerste je versteigerte Einzelbild des Malers. Überrascht hat die riesige Summe kaum noch.
In den vergangenen Jahren ist auf dem internationalen Kunstmarkt ein Milieu supersolventer Sammler entstanden, die die Preise zeitgenössischer Kunst ins Fantastische treiben. Christie's und Konkurrent Sotheby's überbieten sich mit immer neuen Rekordmeldungen. „Auf dem Sekundärmarkt haben wir bei einigen Künstlern einen unglaublichen Hype“, sagt der Besitzer des Kölner Kunsthauses Lempertz, Henrik Hanstein.
Im November verkaufte Christie's Bacons „Three Studies of Lucian Freud“ für 142,2 Millionen Dollar (103,6 Millionen Euro). Das aus drei Einzelbildern bestehende Werk löste Edvard Munchs „Schrei“ als teuerstes je versteigertes Gemälde ab, Chefauktionator Jussi Pylkkänen sprach von einem „historischen Abend“. Einen Tag später zog Sotheby's nach, auch wenn ein paar Millionen fehlten: Andy Warhols „Silver Car Crash“ wurde für 105,4 Millionen Dollar versteigert, immerhin Auktionsrekord für den Künstler. Hanstein spricht von einem Herdentrieb. Oligarchen wie Roman Abramowitsch und Victor Pinchuk, der französische Luxusprodukte-Unternehmer François Pinault, aber zuletzt auch Milliardäre aus China, Abu Dhabi oder Dubai konkurrierten um „Blue Chips“ – wie ähnlich dem Sprachgebrauch an der Börse die weltweit besonders hochgehandelten Werke großer Namen wie Bacon, Warhol, Jeff Koons oder Damien Hirst genannt werden. Die Nachfrage sei größer als das Angebot, die finanziellen Mittel unbegrenzt, die Käufer spekulativ.
Liebhaberei und ideeller Anspruch sind in den Hintergrund getreten. „Die sehr Vermögenden erkaufen sich mit der Kunst Status“, sagt der Gründer des Online-Kunstdienstleisters artnet, Hans Neuendorf. „Sie können drei Yachten besitzen und eine weitere kaufen, aber wie viele Yachten kann man fahren?“ Der Besitz rarer Kunst sei hingegen ein Zeugnis absoluter finanzieller Souveränität – und mehr noch: „Ein Ausweis von Bildung“, sagt Neuendorf. „Kunst lässt glänzen.“
Quietschbunt, funkelnd, überlebensgroß: Auf Arbeiten wie Koons' „Balloon Dog“, eine tonnenschwere Nachbildung der meist von Kleinkünstlern verkauften, zu Tierformen geknoteten Luftballons, könne sich die globale Sammlerschaft schnell als etwas wie eine „internationale Währungseinheit“ verständigen, sagt Hanstein. „Objekte, die sich relativ leicht erschließen lassen, nicht bedeutungsschwanger sind, nicht gegen den Strom schwimmen.“ Für viele Superreiche sei Kunst daher das, was für andere Vermögende Immobilien sind: „Eine Form der Geldanlage in unsicheren Zeiten, ein System zur Sicherung von Eigentum“, sagt Hanstein. „Sie wissen in Russland nicht, wie lange sie in der Gunst der Herrscher stehen, ob sie ihr Vermögen behalten werden oder nicht. Ländereien können sie nicht von hier nach dort schicken. Bei einer Milliarde wird es auch schwer.“
„Es gibt einen Sammlertyp, bei dem der finanzielle Aspekt im Vordergrund steht“, bestätigt Dirk Heinrich, beim Kunstversicherer Axa Art verantwortlich für Deutschland und Österreich. Ein Trend, der sich vor diesem Hintergrund immer stärker zeige, sei die Aufbewahrung von Kunst in sogenannten Freeports, hoch gesicherten Freihandelslagern an großen Flughäfen, die den Sammlern Zoll- und Steuerersparnisse bieten. Von dort können die Kunstwerke leicht weiterverkauft werden – am besten natürlich mit Gewinn.
Die Rekorderlöse der Auktionatoren und die globalen Ambitionen von Topgaleristen wie dem New Yorker David Zwirner überschatten immer mehr das traditionelle Geschäft mit der Kunst, für das viele kleinere Kunsthäuser und Galerien verantwortlich sind. „Die Versteigerungen in London oder New York machen von der Anzahl nur einen Bruchteil des Kunstmarktes aus“, sagt Heinrich. Deutschland ist nach wie vor stark von diesen „Mittelständlern“ geprägt. Christie's nehme 700 Millionen Dollar an einem einzigen Abend ein, rechnet der Kölner Galerist Karsten Greve vor. Hierzulande kämen nur etwa fünf Galerien auf einen Jahresumsatz von rund 20 Millionen Euro.