Das bitterarme Nicaragua will zum Drehkreuz des Welthandels werden. Eine Wasserstraße zwischen Atlantik und Pazifik soll dem Panamakanal Konkurrenz machen und Millionen an Gebührengeldern in die Staatskasse des mittelamerikanischen Landes spülen. Die Regierung in Managua hat dem Hongkonger Konsortium HKND Group den Zuschlag für den Bau gegeben, das Parlament die Zustimmung erteilt. Präsident Daniel Ortega hat die nötigen Gesetze im Eiltempo durchgepeitscht.
Nicaragua erhofft sich von dem rund 300 Kilometer langen Kanal einen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Bau soll im kommenden Jahr beginnen. Bereits für 2015 rechne er mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 15 Prozent, zitiert die Zeitung „La Prensa“ den nicaraguanischen Kabinettsminister Paul Oquist. Neben der Wasserstraße sind eine Eisenbahnlinie, eine Ölpipeline, zwei Häfen und ein Flughafen geplant. Für den Bau werden 40 Milliarden US-Dollar (30,3 Milliarden Euro) veranschlagt. HKND Group soll 49 Prozent der Aktien halten, der Staat Nicaragua 51 Prozent. „Der Nicaragua-Kanal hat das Potenzial, neue, kostengünstige Routen für den Transport von Rohstoffen zu öffnen“, sagt der Sprecher der HKND Group, Ronald MacLean-Abaroa. „Es gibt eine große Nachfrage nach einem modernen Kanal“. Selbst nach Abschluss der derzeitigen Erweiterungsarbeiten in Panama würden die Kapazitäten des Kanals nur rund zehn Jahre lang die Nachfrage decken, sagt der frühere bolivianische Außenminister. Für die internationale Schifffahrt wäre ein zweiter Kanal ein großer Vorteil. Die Monopolposition von Panama wäre dahin. Kritiker werfen der Regierung vor, überstürzt zu handeln. Beispielsweise sei versäumt worden, mit den indigenen Gemeinschaften an der Karibikküste über das Projekt in deren Gebiet zu verhandeln. „Die Gemeinden sind Eigentümer der Grundstücke – sie sind noch nicht einmal informiert worden“, berichtet die Abgeordnete Brooklyn Rivera, die der Regierungspartei angehört. Die Opposition kritisiert vor allem, dass ein ausländisches Unternehmen den Kanal für 100 Jahre betreiben soll. Vieles sei noch unklar, beispielsweise wer hinter der HKND Group stecke, kritisiert der liberale Parlamentarier Wilfredo Navarro. „Die (Präsidentenfamilie) Ortega Murrillo schlägt ein Gesetz vor, das darauf abzielt, die Souveränität Nicaraguas aufzugeben“, heißt es in einer Stellungnahme des Movimiento Renovador Sandinista. Vorstandsvorsitzender der HKND Group ist der Chinese Wang Jing. Dessen Telekommunikationsfirma Xinwei erwarb im vergangenen Jahr bereits eine Mobilfunkkonzession für Nicaragua. Passiert ist seither nicht viel. „Wenn sie noch nicht mal eine Mobilfunkfirma aufbauen können, können sie bestimmt keinen Kanal bauen“, sagt der Abgeordnete Eliseo Núnez von den Demokraten. Umweltschützern bereitet vor allem Sorge, dass alle derzeit diskutierten Alternativrouten durch den Nicaraguasee und damit durch das wichtigste Süßwasserreservoir der Region führen. „Beim Bau des Kanals muss auf die Schutzgebiete und die Wasserspeicher Rücksicht genommen werden, vor allem auf den Nicaraguasee“, sagt Kamilo Lara von der Umweltschutzorganisation Nationales Forum für Recycling.
Panamakanal
Der 80 Kilometer lange Panamakanal verbindet den Atlantik mit dem Pazifik und ist eine der meist befahrenen Wasserstraßen der Welt. Pro Jahr passieren zwischen 13 000 und 14 000 Schiffe den Kanal. Seit seiner Eröffnung 1914 waren es insgesamt über eine Million Schiffe. Die Gebühr hängt von der Größe des Schiffs und der Art der Ladung ab, durchschnittlich müssen Reedereien 250 000 Dollar für die Passage bezahlen. Um künftig Schiffe der sogenannten Post-Panamax-Klasse mit bis zu 12 000 Containern schleusen zu können, wird der Kanal derzeit ausgebaut. Das 5,2 Milliarden US-Dollar (3,9 Milliarden Euro) teure Projekt soll 2014 abgeschlossen werden. text: dpa