Mit einer gemütlichen Sitzung sollten die europäischen Agrarminister am kommenden Montag in Brüssel nicht rechnen. Auch wenn man die Ressortchefs durch einen Hintereingang ins Ratsgebäude schaffen wird, dürfte der Lärm der Demonstranten sehr wohl bis zu ihnen hinaufdringen. Tausende Milchbauern aus ganz Europa haben sich angekündigt, die mit Hunderten Traktoren den Brüsseler Verkehr lahmlegen wollen, um ihrem Ärger Luft zu machen.
Seitdem im April die umstrittene Milchquote nach 31 Jahren ausgelaufen ist, befinden sich die Preise für die Produkte der Landwirte im freien Fall. 40 Cent je Liter (oder je Kilogramm, der maßgeblichen Rechnungseinheit im Milchsektor) gab es im Mai 2014. Zuletzt bekamen die Bauern noch 29 Cent.
Um ihre Existenz zu sichern und wirtschaftlich produzieren zu können, brauchen sie mehr. Von einer „Milchpolitik, die die Erzeuger ruiniert“, spricht man beim europäischen Dachverband, dem European Milk Board (EMB). Doch EU-Agrarkommissar Phil Hogan aus Irland hat bereits klargemacht, dass „wir an der stärkeren Marktausrichtung der europäischen Landwirtschaftspolitik festhalten wollen, die 1999 begonnen hat“.
Deshalb werde man mit Entscheidungen am kommenden Montag „sehr behutsam“ sein. Und auch die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft erteilte Hoffnungen, es werde zu einer Auferstehung der Quote kommen, bereits im Vorfeld eine Absage. Man werde „nicht über Produktionskontrolle, wohl aber über Produktionsmanagement“ reden.
Tatsächlich ist der Wegfall der Milchquote, mit der die jahrzehntelange Überproduktion durch Strafen für mehr produzierende Landwirte begrenzt werden sollte, nur teilweise an der jetzigen Situation schuld. Die Lage eskalierte durch den Wegfall des russischen Marktes nach dem Embargo in der Ukraine-Krise sowie einem Rückgang der chinesischen Nachfrage.
In Brüssel will man deshalb eher neue Märkte wie Lateinamerika oder Asien forcieren und die innereuropäische Nachfrage ankurbeln, statt eine neue Quote zu initiieren. Weitere Instrumente zur Erhöhung des Absatzes könnten – in Anlehnung an die Schulmilch – Abgabeaktionen an soziale Einrichtungen wie Altenheime, Kindergärten und andere Bildungsinstitutionen sein.
Darüber hinaus scheint der Agrarkommissar auch die rund 900 Millionen Euro der „Superabgabe“ aus dem letzten Quoten-Jahr 2014/2015 nutzen zu wollen, um Einkommensbeihilfen und andere Unterstützungen direkt an die Bauern auszuzahlen. Anträge von Landwirten aus Polen, Tschechien, Ungarn, Litauen und Bulgarien liegen bereits vor – aus Deutschland ging bisher kein entsprechender Wunsch ein.
An der langen Leine
Der Grund: Gerade die deutschen Milchbauern hängen finanziell an der langen Leine der großen Lebensmittelketten, auf deren Preisgestaltung sie keinen Einfluss haben, wohl aber unter ihr leiden. In einigen Mitgliedsstaaten wie Belgien gibt es neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Handel und Milcherzeugern. Ein Modell, das Brüssel nur allzu gerne in andere Länder exportieren möchte.
Doch das wird die erhitzten Gemüter am Montag kaum beruhigen können. Die belgische Hauptstadt stellt sich schon wieder auf heftige Auseinandersetzungen auf der Straße ein. Hunderte Milchbauern aus Deutschland wollen sich am Wochenende mit ihren Traktoren auf den Weg nach Brüssel machen.
Vor allem aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz seien Protestfahrten zu einem Treffen der EU-Agrarminister geplant, sagte Hans Foldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) der Deutschen Presse-Agentur in München: „Wir rechnen mit 300 Schleppern.“
Am Dienstag hatten Tausende Milchbauern in München demonstriert und der Bundesregierung Tatenlosigkeit vorgeworfen. In Paris protestierten dann am Donnerstag Bauern mit einer Kolonne Hunderter Traktoren gegen die Krise der französischen Landwirtschaft.
In Bayern hoffen unterdessen Landwirte nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) auf Unterstützung. Seehofer habe zugesagt, die Lage der Milchbauern im Kabinett zur Sprache zu bringen, berichtete Foldenauer. Mehrere Milchbäuerinnen hatten die Nacht zum Mittwoch in einem Zelt vor der Münchner Staatskanzlei verbracht. Mit Informationen von dpa