Die Corona-Pandemie hat viel verändert – auch die Art, wie die Menschen arbeiten. So ist "Homeoffice" neben "systemrelevant", "Abstandsregeln", "Kurzarbeit" oder "Lockdown" zu einem der bekanntesten Schlagworte in der aktuellen Krise geworden.
Die Bedeutung der Arbeit von daheim aus hat deutlich zugenommen: So fand das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin in einer bundesweiten Umfrage heraus, dass mittlerweile 35 Prozent aller Arbeitnehmer im Homeoffice sind. Vor der Corona-Krise seien es 12 Prozent gewesen.
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Abgesehen davon, wie produktiv die Arbeit in den eigenen vier Wänden ist, stellt sich die Frage, wie ungesund acht Stunden auf dem Hocker am Küchentisch oder der Wohnzimmercouch sind. Nicht jeder hat daheim schließlich ein ergonomisch vorteilhaftes Büro. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass quengelnde Kinder oder anderer Familienstress auf die Psyche des Heimarbeiters schlagen können.
Mehr Rückenprobleme durch das Arbeiten am Küchentisch
Da komme ein großes Problem auf die Gesellschaft zu, sagt Unternehmensberater Marco Scherbaum. Seine Agentur "Health for All" in Würzburg hat sich auf Gesundheitskonzepte für Betriebe spezialisiert. Scherbaum geht davon aus, dass mehr Heimarbeit zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vor allem zu mehr Rückenproblemen bei den Beschäftigten führt. "Diese Bereiche zählen heute schon zu den häufigsten Ursachen für Ausfallzeiten. Fehlende Bewegung und schlechte Sitzhaltung am neuen Arbeitsplatz Küchentisch werden die beiden Krankheitsbilder weiter verschärfen. Das wird sehr schnell nachweisbar sein."
Nicht so gravierend sehen das andere Fachleute. "Man braucht keine Angst zu haben, sich dauerhaft einen organischen Schaden an der Wirbelsäule zuzuziehen, nur weil man aktuell in einer absolut einmaligen Ausnahmesituation keinen idealen Arbeitsplatz im Homeoffice hat", sagt Bernd Kladny, stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), laut Nachrichtenagentur dpa. Auch mit dauerhaften Schäden an den Augen sei nicht zu rechnen, sagt Horst Helbig, Experte der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in München, die auf Augenheilkunde spezialisiert ist.
Entwarnung kommt auch von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Bislang seien in Unterfranken keine Patienten bekannt, die in Folge von Homeoffice krank geworden sind, erklärt der regionale Vorstandsbeauftragte Gunther Carl. Der Neurologe und Psychiater weist allerdings darauf hin, dass die Ärzte nur die Diagnosen erfassten, nicht aber, woher die Beschwerden der Patienten kommen. Insofern fehle es an verlässlichen Zahlen.
Auch ohne Zahlen: "Das Thema wir unter Kollegen erörtert", so Carl zu Homeoffice und Gesundheit. Seiner Erfahrung nach relativiert sich die Problematik, weil in der Mehrzahl jene Arbeitnehmer im Homeoffice seien, die vorher in der Firma auch einen Bürojob hatten. "Die sitzen also sowieso schon immer." So oder so, den meisten sei in der Corona-Krise schlicht und einfach wichtiger, überhaupt noch Arbeit zu haben.
Neue Tragweite könnte das Thema Homeoffice und Gesundheit bekommen, wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil seine Idee mit einem gesetzlich verbrieften Recht auf Heimarbeit durchbringt. Schon jetzt sei es für die Chefs schwer, auf die Gesundheit ihrer zuhause arbeitenden Belegschaft zu achten, sagt Marco Scherbaum.
Ein Unternehmer könne ja nicht zu all seinen Mitarbeitern fahren, um zu prüfen, ob in den Wohnungen alle Sicherheitsbestimmungen wie im Betrieb eingehalten werden und ob sich das Personal gesund verhalte. "Mit herkömmlichen Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist diese Situation ganz schwer zu lösen. Es braucht neue verantwortungsvolle Wege der betrieblichen Gesundheitsförderung – zielgerichtete Leistungen, die unabhängig vom Betriebsgelände individuell vom Mitarbeitenden abgerufen werden können.“
Umdenken in der Arbeitswelt
Das spürt Scherbaum allein schon an der Tatsache, dass seit vier Wochen die an ihn gerichteten Anfragen "nach der betrieblichen Krankenversicherung immens zugenommen haben". Die Unternehmen und Behörden wollten wissen, was sie in puncto Gesundheit und Homeoffice tun können.
Die größer gewordene Bedeutung von Homeoffice verbindet der Würzburger Unternehmensberater mit einer Forderung: "Es erfordert ein Umdenken in der Arbeitswelt und Schaffung der Infrastruktur durch Wirtschaft und Politik. Auch Personalverantwortliche sind gerade jetzt gefragt." Denn Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung "gelten auch für Arbeitsplätze im Homeoffice".