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MÜNCHEN
Kaeser will Ordnung im Chaos
Neuanfang: Hauptsitz der Siemens AG am Wittelsbacher Platz in München.
Foto: dpa | Neuanfang: Hauptsitz der Siemens AG am Wittelsbacher Platz in München.
Von den dpa-Korrespondenten D. Wiegmann und C. Schultze
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:49 Uhr

Der neue Siemens-Chef Joe Kaeser will das ramponierte Ansehen des Elektrokonzerns wieder aufpolieren. Der Aufsichtsrat ernannte Kaeser am Mittwoch zum Nachfolger des gescheiterten Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher. Wenige Stunden nach seiner Wahl tritt der 56-Jährige erstmals als neuer Mr. Siemens ans Podium – und sieht dabei sehr glücklich aus. Unter freiem Himmel, im Innenhof der Konzernzentrale, verspricht er den 370 000 Mitarbeitern, den Siemens-Konzern nach stürmischen Monaten wieder zur Ruhe zu bringen.

„Ich will, dass alle unsere Mitarbeiter und alle unsere Kunden und unser Land wieder so stolz auf Siemens sein können wie ich es bin.“ Viele Mitarbeiter verlassen ihre Büros, um ihren neuen Chef aus der Nähe zu sehen. Einen nahbaren Konzernchef haben viele von ihnen in den vergangenen Jahren vermisst. Peter Löscher galt als Reise-Chef, der auch selbst gelegentlich erzählte, dass er einen Großteil seiner Arbeitszeit im Flieger zu einem der vielen Siemens-Standorte weltweit verbringt. Werben um das Vertrauen der Mitarbeiter steht generell bei Kaesers Auftritt im Mittelpunkt. „Es ist keine unternehmerische Leistung, möglichst viele Arbeitsplätze zu vernichten“, sagt der neue starke Mann bei Siemens.

Es sind Worte, die den Mitarbeitern nach monatelangen Spekulationen um Tausende gefährdete Jobs guttun dürften. Zum Abschluss seiner Rede applaudieren ihm die anwesenden Beschäftigten, die er in seiner Rede „Kollegen“ nennt. Den Beifall der Börse muss sich Kaeser allerdings erst noch verdienen. Seinen Weg tritt der Niederbayer nämlich mit einem ganzen Rucksack voller drückender Probleme an. Er muss jetzt alles sein für das Unternehmen: ein Visionär und knallharter Rechner genauso wie ein fürsorglicher Trainer, der die Mannschaft nach dem Chaos der vergangenen Wochen moralisch wieder aufrichtet und die Wogen glättet. In dieser Rolle übt er sich am Mittwoch schon einmal fleißig: „Unser Unternehmen ist bestimmt nicht in einer Krise und auch kein Sanierungsfall“, sagt der 56-Jährige. Sein erklärtes Ziel sei es jetzt, das Unternehmen zu befrieden und die „innere Ordnung wiederzufinden“, erklärt Kaeser und bemüht dabei immer wieder den Teamgeist bei Siemens.

Genau mit diesem Teamgeist schien es in den vergangenen Monaten allerdings schwer zu hapern und Kaeser selbst spielte dabei zeitweise eine schwer zu durchschauende Rolle. So hat er als Finanzchef schon von Amts wegen an den immer wieder kassierten Gewinnprognosen mitgerechnet, deren Streichung zum Sturz von Konzernchef Peter Löscher führten. Dass Fehler gemacht worden sind, verhehlt der Niederbayer gar nicht. „Ich weiß natürlich, dass die jüngsten Umstände meine Aufgabe nicht gerade leichter machen, daher trete ich dieses Amt mit sehr großem Respekt an.“ Auch schon vor 2007 seien Chancen verpasst worden, ebenso in den vergangenen Jahren, „und wir werden auch in der Zukunft noch Fehler machen“, sagte Kaeser. Vieles sei aber auch gut gelungen. „Ich werde nicht versuchen, Siemens neu zu erfinden, das ist auch gar nicht nötig.“

Nun kann Kaeser froh sein, dass er nach den schweren Turbulenzen der vergangenen Tage nicht noch eine schwere Hypothek draufgepackt bekommen hat: Gemessen am Wust von Spekulationen um Intrigen und persönliche Ambitionen unter den Aufsehern in den vergangenen Tagen gingen die Personalentscheidungen überraschend glatt durch. Schon im ersten Wahlgang wurde Kaeser einstimmig zum neuen Chef bestimmt. Hätte er in die zweite Runde gemusst, wäre der Amtsantritt gleich schwer belastet gewesen. Kaeser selbst haben die Stürme der vergangenen Tage offenbar nicht sehr zugesetzt. Er zeigt sich unter strahlend weiß-blauem Himmel am Mittwoch leicht gebräunt und gewohnt selbstbewusst: „Wenn sich jemand vor Siemens fürchtet, dann müssen das die Wettbewerber sein.“

Finanzexperte Kaeser will Siemens zum „Hochleistungsteam“ formen

Josef Käser hat sich schon vor Jahren für eine internationale Karriere fit gemacht – und seinen Namen in Joe Kaeser geändert. Das kommt auch Geschäftspartnern im Ausland leichter über die Lippen. Kaeser hat sein Berufsleben bei Siemens verbracht. Nun steht er an der Spitze. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft begann er seine berufliche Laufbahn 1980 im Unternehmensbereich Bauelemente von Siemens. Es folgten verschiedene Stationen im Konzern, zunächst als kaufmännischer Leiter und später dann als Vorstand der früheren Siemens-Mobilfunksparte ICM sowie als Leiter der Konzernstrategie noch unter dem früheren Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Im Mai 2006 wurde Kaeser unter Pierers Nachfolger Klaus Kleinfeld Finanzvorstand des Elektrokonzerns und blieb das auch unter seinem Vorgänger Peter Löscher. Auf Joe Kaeser wartet nun viel Arbeit. Der neue Siemens-Chef muss Ruhe in den Konzern bringen. Nach Peter Löscher setzt der Aufsichtsrat dafür wieder auf eine interne Lösung: Der gewiefte Manager gilt nicht nur als analytischer Denker und Stratege, sondern auch als hervorragender Kenner des Konzerns, der durch Konjunkturflaute, Gewinnwarnungen und Projekt-Pannen in letzter Zeit in raue See geraten war. Viele trauten Kaeser schon in den vergangenen Monaten mehr zu als dem gestürzten Löscher. Manche sagen, auch Kaeser selbst habe das so gesehen. Zumindest ließ Kaeser durchschimmern, dass er Zweifel an Löschers Kurs hatte. „Wir haben uns zuletzt viel mit uns selbst beschäftigt und etwas die Ertragsdynamik gegenüber dem Wettbewerb verloren“, sagte Kaeser nach seiner Berufung. Er wolle Siemens in ruhigeres Fahrwasser führen und zu einem Hochleistungsteam formen. Text/FOTO:dpa

 
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