Flüchtlinge integrieren – das klingt so einfach. Als wäre nur ein bisschen guter Wille nötig. Dem ist nicht so. Zumal nicht, wenn es darum geht, dass Geflüchtete in der Arbeitswelt Fuß fassen sollen. Vieles ist zu beachten, damit dies gelingt. Hier Hilfe zu leisten, mit dieser Idee ging das Würzburger Projekt integr-Ai.de im Sommer 2015 an den Start. In den kommenden Jahren will die Initiative deutschlandweit rund 20 000 Flüchtlinge vermitteln. Bei zehn Geflüchteten hat die Vermittlung inzwischen geklappt. Geboren wurde das Projekt in der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Würzburg. Allein das ist ziemlich ungewöhnlich. Ökonomen beschäftigen sich mit Unternehmen, Managementstrategien, Portfolio-Optimierung und Finanztransaktionen. Welcher Wirtschaftsprofessor nimmt sich des Themas „Flüchtlinge“ an?
Es waren denn auch persönliche Erfahrungen mit den vielfältigen Schwierigkeiten bei der ehrenamtlichen Arbeitsvermittlung, die integrAi.de zur Geburt verhalfen. Hinter der Initiative steckt die Erkenntnis, dass es eine Menge Wissen braucht, um Menschen mit Fluchthintergrund Zugänge zu Jobs, Praktika oder Ausbildung zu eröffnen. „Allein arbeitsrechtlich ist die Sache kompliziert“, sagt Joscha Riemann, einer von drei hauptamtlichen Mitarbeitern von integrAi.de. Welcher Asylbewerber mit welchem rechtlichen Status darf unter welchen Bedingungen einen Job annehmen? Allein mit dieser Frage sind ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe Engagierte oft überfordert.
Die Probleme setzen sich fort, wenn es um die Anerkennung von Zeugnissen und Qualifikationen geht: Welche Instanz ist zuständig? Industrie- und Handelskammer? Handwerkskammer? Oder das ehemalige Versorgungsamt?
Schließlich müssen Ehrenamtliche „ihren“ Flüchtlingen beim Bewerbungsverfahren, dem Vorstellungsgespräch und ganz konkret beim Jobeinstieg helfen. Für Unternehmen stellt sich unter anderem die Frage, wo es eventuell Zuschüsse für die Eingliederung von Flüchtlingen gibt.
Herzstück von integrAi.de sind Jobcoachs, die Flüchtlinge bei allen Schritten auf dem oft verschlungenen Weg in Arbeit oder Ausbildung begleiten. Diese Jobcoachs werden vom Team ausgebildet. Eine erste zweitägige Schulung lief im Juni in der Pilotregion Alzenau. Dass das Projekt ausgerechnet am Bayerischen Untermain startete, hat einen einfachen Grund: Business Manager Joscha Riemann stammt aus dem benachbarten Kahl. Er kennt Alzenaus Bürgermeister, konnte sich vor Ort leicht über die aktuelle Situation in der Flüchtlingshilfe informieren und überzeugte die Gemeinde, sich der Idee integrAi.de anzuschließen. Durch persönliche Kontakte kam das Team auch zur Kooperation mit der nordrhein-westfälischen Gemeinde Schermbeck. Hier werden im Dezember erste Jobcoachs ausgebildet. Die Stadt Würzburg, Heimat von integrAi.de, soll danach zum Zug kommen. „In Würzburg möchten wir gerne bis zu 35 Jobcoachs ausbilden“, sagt Riemann. Am 3. und 4. Februar wird eine erste Schulung organisiert. Dafür sucht das Team noch Teilnehmer.
In Frage kommen Personen, die bereits freiwillig mit Flüchtlingen arbeiten. Interessant für das Projektteam wären außerdem Menschen, die einst verantwortungsvolle Posten hatten und ihre beruflichen Kontakte im Ruhestand für die Integration von Flüchtlingen nutzen wollen.
Die von den Professoren Sascha Friesike und Richard Pibernik ins Leben gerufene Initiative versteht sich nicht als Konkurrenz zu etablierten Organisationen oder Institutionen, die sich um die berufliche Integration von Flüchtlingen kümmern. Im Gegenteil, so Riemann: „Wir kooperieren und nutzen Synergien.“ Besonders eng ist die Kooperation mit den Willkommenslotsen von IHK und HWK. Auch mit dem Jobcenter, der Arbeitsagentur und anderen „Playern“ wird zusammengearbeitet.
Nach und nach sollen weitere Städte und Gemeinden als Kooperationspartner gewonnen werden. Die Idee „integrAi.de“ sukzessive in ganz Deutschland zu etablieren, erscheint als Mammutaufgabe. Zumal gleichzeitig noch an Internet-Werkzeugen zur besseren Integration von Flüchtlingen gearbeitet wird. So wird im Februar ein von Joscha Riemann erarbeitetes Wiki an den Start gehen. Zu allen Fragen rund um die Jobvermittlung von Flüchtlingen soll es mit ein paar Mausklicks Antwort geben: „Zum Beispiel zum Thema ,Bewerbungen?.
“ Außerdem wird es bald eine passgenaue Vermittlung von Flüchtlingen und Unternehmen via Internet geben – „Matching“ ist hier der Fachbegriff.
Das Projekt wurde rasch so groß, dass die anfallenden Arbeiten nicht mehr neben Studium und Lehre bewältigt werden konnten. Seit September ist integrAi.de ein soziales Unternehmen mit drei hauptamtlich Beschäftigten. Unterstützt wurde die Aufbauphase vom Bundeswirtschaftsministerium mit Gründerstipendien aus dem Exist-Programm. Dadurch erhielt integrAi.de knapp die Hälfte des benötigten Startkapitals in Höhe von 250 000 Euro. Auch der Verein „startsocial“ förderte die deutschlandweit einmalige Initiative. In Zukunft will sich das Projekt in Form eines Vereins oder einer gemeinnützigen GmbH selbst tragen.
Einnahmen werden durch die Kooperation mit den Städten und Gemeinden generiert: Interessierte Kommunen schließen sich integrAi.de als Mitglieder an.
Je nach Größe zahlen sie einen festen jährlichen Mitgliedsbeitrag, so Riemann: „Bei einer kleineren Gemeinde wären das um die 5000 Euro im Jahr.“ Das klingt erst mal viel. Doch wird nur ein einziger Flüchtling in Arbeit vermittelt und fällt damit aus dem Hilfesystem heraus, hat sich die Ausgabe für die Gemeinde bereits rentiert.
Am 10. Januar 2017 wird um 18 Uhr im Hörsaal 120 der Würzburger Universität am Sanderring über die Ausbildung der Jobcoachs in Würzburg informiert. Wer Interesse an der Ausbildung hat, kann sich schon jetzt bei Joscha Riemann informieren: info@integrAi.de oder Tel. (09 31) 3 18 47 42.