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Indien schreckt Investoren ab
Baustelle in Mumbai: Lange Zeit galt Indien als das nächste China. Doch Reformstaus und überbordende Bürokratie schrecken viele Investoren ab. Sie lassen Indien immer häufiger links liegen.
Foto: dpa | Baustelle in Mumbai: Lange Zeit galt Indien als das nächste China. Doch Reformstaus und überbordende Bürokratie schrecken viele Investoren ab. Sie lassen Indien immer häufiger links liegen.
Von dpa-Korrespondent Doreen Fiedler
 |  aktualisiert: 09.08.2013 18:00 Uhr

„Ich kann für meine Indienprojekte keine Zeitleiste nennen, denn wir mussten so viele Verzögerungen durchmachen“, klagte unlängst Lakshmi Mittal, Chef des weltgrößten Stahlherstellers ArcelorMittal – und selbst Inder. Mitte Juli zog der Stahlriese die Reißleine für ein milliardenschweres Projekt in Orissa. Weder habe für das Werk das notwendige Land erworben noch die Schürfrechte an den Eisenerzminen sichergestellt werden können, erklärte das Unternehmen.

Wie Mittal klagen viele Investoren über viel zu langsame Entscheidungen in der Verwaltung. Die überbordende Bürokratie gilt als eines der großen Wachstumshemmnisse. Bei einer Befragung der deutsch-indischen Handelskammer betrachtete nicht einmal ein Drittel der deutschen Investoren das politische Umfeld und Investitionsklima derzeit als gemäßigt positiv für ihr Unternehmen – eine Verschlechterung zum Vorjahr. Ein Großteil der Befragten sieht sogar eine Zunahme der Korruption im Land.

Das hat Folgen: Im Finanzjahr 2012/2013 sanken nach Angaben des Finanzministeriums die Direktinvestitionen ausländischer Investoren in Indien um 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Indien hat es versäumt, eine bessere Option zu sein“, meint selbst Arun Maira von der Planungskommission der Regierung. Auf der anderen Seite gehen indische Unternehmer gern ins Ausland, etwa 26 Milliarden US-Dollar investierten sie dort im vergangenen Jahr, das sind mehr als ins Land hineinkamen. Fast ein Jahrzehnt hatte die Wirtschaft in Indien geboomt, mit manchmal fast zweistelligen Wachstumsraten, getrieben von Aushängeschildern wie der IT- und Pharmaindustrie. Doch im abgelaufenen Finanzjahr lag das Wachstum mit 5,0 Prozent so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Diese Probleme kennen auch die anderen BRIC-Staaten Brasilien, Russland und China. Die großen Schwellenländer haben einen unglaublichen Aufstieg erlebt, der sich nun abflacht. Nach Ansicht von D. K. Aggarwal, dem Vorsitzenden des Finanzdienstleisters SMC Investments and Advisors, trifft Indien der Rückgang der Investitionen besonders hart. „Indien finanziert sein großes Leistungsbilanzdefizit mit ausländischen Investitionen, deswegen ist die Wirtschaft des Landes anfälliger für globale Faktoren“, sagt er. Außerdem verfügten Russland und Brasilien über viel mehr Rohstoffe.

Die Ansiedlung großer Industrieprojekte scheitert öfters nicht nur an der Bürokratie, sondern auch am Recht der landbesitzenden Bauern, Ureinwohner und Fischer. So ergeht es dem britischen Rohstoffriesen Vendanta. Derzeit werden die Ureinwohner Dongria Kondh befragt, ob der Konzern Bauxit in den für sie heiligen Bergen abbauen darf – bislang stimmten die Dorfgemeinschaften mit Nein. Erfolg hatte Indien mit seinen 1,2 Milliarden Menschen bislang im Ausland vor allem auch mit Serviceleistungen, während kleine Nachbarn wie Bangladesch und Pakistan sich als Produzenten etwa von Textilien einen Namen machten. Experten bemängeln, dass Millionen Industriearbeitsplätze für die jungen, weniger gut ausgebildeten Menschen fehlen. Die Forderungen nach tiefgreifenden Reformen und Abbau von Restriktionen kommen immer wieder hoch. Die Regierung von Manmohan Singh hatte vergangenes Jahr eine Liberalisierung des 500 Milliarden US-Dollar schweren Einzelhandelssektors beschlossen. Doch das Interesse ausländischer Investoren blieb aus, auch weil ihnen Restriktionen auferlegt wurden – so müssen etwa 30 Prozent der Waren bei kleinen indischen Betrieben gekauft werden – und viele Länderparlamente das Vorhaben torpedieren können. Bislang kam kein einziger Dollar von Branchengrößen wie Walmart, Tesco oder Carrefour ins Land. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Krise öffnete Indien Mitte Juli weitere Sektoren für ausländische Firmen, etwa in der Telekommunikations-, Versicherungs- und Rüstungsindustrie. „Es scheint der Regierung schließlich doch noch gedämmert zu haben, dass sie sich die politische Bequemlichkeit der hohen Wachstumsjahre nicht mehr leisten kann“, kommentierte die Zeitung „Times of India“. Finanzminister P. Chidambaram zeigt sich nach einem Jahr im Amt optimistisch, dass die Marktöffnungen ihre Wirkung zeigen. „Wenn die Investitionen sich erholen, werden wir sehen, dass sich auch das Wachstum erholt“, sagte er der Zeitung „Economic Times“. Die Zentralbank rechnet in diesem Finanzjahr wieder mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung von 5,5 Prozent. Auch gab es in dieser Woche fast ausnahmslos lobende Worte für die Ernennung des neuen Zentralbankchefs. Raghuram Rajan war Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und hatte als einer der Wenigen vor der Finanzkrise gewarnt.

Er wird als neuer Hoffnungsträger gesehen, der Anstoß für Erneuerung geben könnte. Erwartet wird, dass seine Sorge zunächst dem rapiden Wertverfall der indischen Währung gilt, denn die Rupie fällt auf immer neue Tiefststände zum US-Dollar, überwiegend importiert Indien Rohstoffe auf Dollarbasis.

 
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