Es ist ein Konflikt, der schon lange schwelt und nun zu eskalieren droht. Die Einkommenstruktur im Einzelhandel ist nicht mehr zeitgemäß, dieser Ansicht sind sowohl der Handelsverband HDE als auch die Gewerkschaft ver.di. Aber was soll wie geändert werden? Daran scheiden sich die Geister.
Ver.di sieht in der geplanten Kündigung sämtlicher Tarifverträge des Einzelhandels durch die Arbeitgeber einen „Generalangriff“. Die Gewerkschaft wollte in dieser Tarifrunde nur übers Geld sprechen. Der Branchenverband hingegen fühlt sich von ver.di hingehalten. „Seit zehn Jahren werden wir immer wieder auf die Zeit nach der nächsten Tarifrunde vertröstet“, sagt der Tarifgeschäftsführer des HDE, Heribert Jöris.
Nun ist die Geduld aufgebraucht. Der HDE hat sich entschlossen, in allen Regionen sämtliche Lohn- und Gehaltstarifverträge als auch die Manteltarifverträge – mit Regelungen über Urlaub, Arbeitszeit und Zuschläge – zu kündigen. Diese Operation wird bei Einhaltungen der Fristen bis Ende Juni abgeschlossen sein. „Die bisherige Entgeltstruktur ist in vielen Fällen unausgewogen und wird den Anforderungen an die Mitarbeiter in der modernen Arbeitswelt nicht gerecht“, erklärt Jöris den Schritt. Da finde sich in den Lohngruppen etwa die Kaltmamsell und die Annonceuse sowie Bestimmungen, wie Kriegs- und Gefangenenjahre den Berufsjahren angerechnet werden. Das Tarifwerk unterscheide noch immer Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer. Von der Wirklichkeit sei das längst überholt. Ver.di weist darauf hin, dass die Mantelverträge bereits vor zwei Jahren überarbeitet und ergänzt worden seien. Doch auch sie sieht Reformbedarf. So finde sich in den Tarifverträgen die Mehrzahl der Arbeitsplätze des Einzelhandels nicht wieder oder sie seien völlig veraltet. Ausbildungsberufe etwa im Textil- oder Lebensmittelsektor, die überwiegend Frauen ausübten, würden schlechter bezahlt als andere Handwerksberufe des Einzelhandels, etwa Fußbodenverleger, Innendekorateure oder Uhrmacher. Das widerspreche dem Diskriminierungsverbot.
Ver.di befürchtet, dass die Unternehmer wesentliche Schutzregelungen abschaffen und die Arbeitsbedingungen verschlechtern wollen. Bei einem Test in 50 Betrieben sei versucht worden, Tätigkeiten des Einzelhandels neu zu definieren. Die Gewerkschaft brach das Projekt ab, weil ein Teil der Unternehmen versucht habe, die Berufe möglichst niedrig zu bewerten. Der scharfe Wettbewerb solle auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden, so der Vorwurf. Die Strategie der Arbeitgeber zeige sich auch daran, dass der HDE sich nicht ernsthaft um einen Branchenmindestlohn bemühe, beklagt ver.di-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Im Einzelhandel sind die Hälfte der drei Millionen Beschäftigten an einen Tarifvertrag gebunden. Die Marke von 50 Prozent müsste aber eindeutig überschritten sein, damit das Bundesarbeitsministerium die unterste Lohngruppe als Mindeststundenlohn verbindlich festlegen kann. Dieser liegt derzeit je nach Tarifregion zwischen 7,50 und 9,30 Euro. Mitarbeiter ohne den Schutz eines Tarifvertrages bekommen laut ver.di oft nur 5 Euro pro Stunde.