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Im Abwärtsstrudel
VW-Abgas-Affäre: Volkswagen steht vor einem Scherbenhaufen. Wegen des Diesel-Skandals ist das Vertrauen vieler Anleger und Käufer dahin. Eine Gewinnwarnung nährt Spekulationen um die Zukunft des Chefs.
reda
 |  aktualisiert: 22.09.2015 18:20 Uhr

Hilfloses Lavieren statt konzentriertem Navigieren? Die Krise um die manipulierten VW-Abgastests in den USA hat hinter den Kulissen in Wolfsburg, Hannover und anderen Zentralen der Macht hektische Betriebsamkeit ausgelöst. Rund um den Konzernsitz glühen die Telefonleitungen. „Es gibt laufend Krisensitzungen“, sagt ein Mitglied des VW-Aufsichtsrates. Einen Tag vor dem geplanten Krisentreffen der wichtigsten Aufseher haben die dramatischen Folgen des Skandals eine Lawine ausgelöst, die längst über die Branche hinausgeht. Auch für Vorstandschef Martin Winterkorn steht viel auf dem Spiel: Die Stimmen, die inzwischen seinen Rücktritt fordern, mehren sich. Wohin die Reise am Ende geht, kann bisher aber kaum jemand verlässlich sagen. Generell gilt höchste Geheimhaltung.„Eine Verlängerung des Vertrags mit Herrn Winterkorn ist inzwischen unvorstellbar“, heißt es aus dem Umfeld des Kontrollgremiums.

Es gebe jedenfalls schon eine lange Liste mit möglichen Nachfolgern. „Das Problem ist nur, dass jeder dieser Personen eine Riesenlücke an anderer Stelle hinterlassen würde.“ Dennoch kursiere auch die Meinung, dass ein Rücktritt Winterkorns die eleganteste Lösung sei. Dadurch würde man nicht nur einen Verantwortlichen präsentieren können – sondern auch die Chance erhalten, die Affäre unter Kontrolle zu bekommen. Denn diese habe das Unternehmen durch die Schockstarre der vergangenen Tage längst verloren, berichtet ein Insider. Jahrzehntelang war das Werbemotto der VW-Tochter Audi „Vorsprung durch Technik“ ein Synonym für hohe Qualität, Verlässlichkeit und Ingenieurskunst. Es stand unausgesprochen auch für die Konzernmutter.

Doch nun gibt es arge Kratzer am Nimbus des zweitgrößten Automobilkonzerns der Welt. Das Werbeversprechen sauberer Dieselmotoren hat sich in den USA dank raffinierter Software-Tricksereien als Mogelpackung entpuppt und viel Vertrauen vernichtet. Rund elf Millionen Fahrzeuge sind weltweit von solchen „Abweichungen“ betroffen, gab der Konzern am Dienstag zerknirscht zu.

Bislang galt Winterkorns Vertragsverlängerung durch den VW-Aufsichtsrat am Freitag als Formalie – sie bekommt nun aber eine neue Dimension. Am Dienstag mehrten sich Stimmen, die von ihm persönliche Konsequenzen verlangen. Dazu gehört Hans-Olaf Henkel, der sechs Jahre an der Spitze des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) stand. Er fordert Winterkorns sofortigen Rücktritt.

„Die Manipulation von Abgaswerten durch die Volkswagen AG in den Vereinigten Staaten belastet nicht nur dieses Unternehmen, sie wirft auch nicht nur ein schlechtes Licht auf alle anderen deutschen Autohersteller, sie untergräbt den Ruf der gesamten deutschen Industrie, wenn nicht unseres Landes“, meinte Henkel, der für die AfD-Abspaltung Alternative für Fortschritt und Aufbruch im Europäischen Parlament sitzt. Winterkorn müsse nun eine klare Linie zwischen Volkswagen und dem Rest der deutschen Industrie ziehen. Rücktrittsforderungen kamen auch vom linken politischen Spektrum. Der VW-Chef sollte überlegen, ob er nicht besser den Rückwärtsgang einlegt, meinte Linke-Chef Bernd Riexinger. „Als Konzernboss bezieht er ein Jahresgehalt von 15 Millionen Euro, doch im Kapitalismus gilt der Profit alles, die Moral nichts.

“ Niedersachsens früherer Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP), einst selbst Mitglied des VW-Aufsichtsrates, schlug wegen des Skandals eine Verschiebung der Vertragsverlängerung Winterkorns und die Einsetzung eines „unabhängigen Chefaufklärers“ vor. Niedersachsen ist einer der VW-Großaktionäre – seine 20-prozentige Beteiligung spülte dem Land im Vorjahr stolze 283 Millionen Euro in die Kassen. Und nun ist das Saubermann-Image des einst so hochgelobten Branchenprimus in Gefahr. Kunden und Behörden wurden an der Nase herumgeführt – das kommt den Konzern teuer zu stehen. Seine Aktie schmierte am Dienstag an der Frankfurter Börse zeitweise auf den niedrigsten Stand seit 2011 ab, nachdem die Wolfsburger eine Gewinnwarnung veröffentlicht hatten. Schon am Montag hatte es einen Milliardenverlust beim Kurs der VW-Vorzugsaktie gegeben.

Auch andere Länder blicken nun misstrauisch auf deutsche Dieselautos. Der Vorzeigekonzern droht seinen Ruf aufs Spiel zu setzen und könnte eine ganze Branche unter einen schlimmen Generalverdacht stellen. Es ist eine Lawine in Gang gekommen, die auch andere beschädigen kann.

Es geht auch um eine Industrie, die sich erfolgreich unter dem Motto „Made in Germany“ vermarktet. Der Slogan – im Lauf der Jahrzehnte zum Gütesiegel geworden – könnte Schaden nehmen, meinen erste Mahner.

Zu den Stimmen, die vor den Folgen eines Generalverdachts für die deutsche Exportwirtschaft durch das VW-Vertrauens-Desaster warnen, gehört neben Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Er sieht nicht nur Jobs bei VW und vielen Zulieferern in Deutschland gefährdet. Fratzscher fürchtet, dass „auch andere deutsche Exporteure Schaden nehmen, denn VW war bisher ein Aushängeschild für Produkte „Made in Germany“. Es müsse nun dringend um Schadensbegrenzung für VW und deutsche Exporteure allgemein gehen.

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