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FRANKFURT
IG-Metaller tagen im langen Schatten der VW-Krise
dpa
 |  aktualisiert: 03.11.2015 03:48 Uhr

Es liegen fast 400 Autobahnkilometer zwischen dem Volkswagenwerk in Wolfsburg und dem Portalhaus der Frankfurter Messe. Doch der Skandal um die Abgasmanipulation in Millionen VW-Dieselmotoren und ihre Folgen für die deutsche Autoindustrie überbrückt die Entfernung spielend. Schließlich ist die in Frankfurt tagende IG Metall bei Volkswagen so einflussreich wie in keinem zweiten Unternehmen. Der 23. ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall vom 18. bis zum 24. Oktober hat so ein unerwartetes Top-Thema bekommen.

In den ersten Tagen des Skandals war die Stimme der Gewerkschaft kaum zu vernehmen, selbstkritische Einschätzungen zur eigenen Rolle im Konzern gab es erst recht nicht. Klar ist bislang nur, dass die IG Metall Schaden von der schuldlosen Belegschaft abwenden will. „Wir zahlen nicht für eure Krise“, lautet dazu der vom scheidenden Gewerkschaftschef Detlef Wetzel ausgegebene Slogan. Eine unmittelbare Verantwortung der Betriebs- und Aufsichtsräte mag er nicht erkennen: „Die Mitbestimmung bezieht sich nicht auf die Frage, welche Komponenten in einen Motor eingebaut werden.“

Alle vier Jahre trifft sich die größte Einzelgewerkschaft der Welt zu ihrem Gewerkschaftstag – Selbstvergewisserung und Machtdemonstration sind ihr dabei von diesem Sonntag an die zentralen Anliegen. Die IG Metall muss sich aktuell keine Sorgen um ihre Wahrnehmung in der Politik machen, als äußerliches Zeichen statten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel und Arbeitsministerin Andrea Nahles (beide SPD) gleich drei Regierungsmitglieder den Metallern in Frankfurt ihren Besuch ab.

Stramme Agenda

Die Kanzlerin wird am Mittwoch aller Voraussicht nach schon vom frischgebackenen neuen Gewerkschaftschef Jörg Hofmann empfangen. Der 59 Jahre alte Tarifexperte aus Baden-Württemberg will am Dienstag zum Nachfolger Wetzels gewählt werden und wird dem Vernehmen nach auch für den Aufsichtsrat des Krisen-Konzerns VW vorgeschlagen. Mit Christiane Benner tritt zudem erstmals eine Frau für das Amt der Zweiten Vorsitzenden an, wie Hofmann bleibt auch sie ohne Gegenkandidat. Da der Vorstand das Personaltableau einstimmig beschlossen hat, ist nicht mit Überraschungen zu rechnen.

Inhaltlich haben sich die Delegierten ein strammes Arbeitsprogramm gegeben. Nicht weniger als 502 Anträge und Entschließungen stehen in der Kongresswoche zur Beratung an, wegen der langen Vorlaufzeit beschäftigt sich allerdings kein einziger explizit mit dem VW-Skandal. Stattdessen stehen neben den Vorstandswahlen viele gewerkschaftliche Dauerbrenner auf der Agenda wie die Zukunft der Industrie oder die Ausweitung der Tarifbindung. Auch die aktuelle Kampagne gegen den Missbrauch von Werkverträgen zum Lohndumping wird eingehend behandelt.

Zeit lassen will sich die IG Metall hingegen beim Thema Arbeitszeit, das in der kommenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie in der Forderungskiste bleibt. Ein „tarifpolitischer Zielkatalog“ soll erst nach einer zwischengeschalteten Arbeitszeitkonferenz aufgestellt werden, hat der Vorstand unterdessen verkündet.

Grund sind die arg unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitglieder, die erst einmal übereinander gebracht werden sollen: Der eine braucht mehr freie Zeit zur Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, der andere schätzt die gut bezahlten Überstunden. Die in der vorangegangenen Tarifrunde propagierte Bildungsteilzeit war dem Vernehmen nach nicht sonderlich zur Mobilisierung der gewerkschaftlichen Basis geeignet.

Erneut mehr Mitglieder

Der designierte Vorsitzende Hofmann hat die allgemeine Richtung vorgegeben: „Wir sollten ein neues Normalarbeitsverhältnis anstreben, das eine unbefristete Vollzeitarbeit mit der Option der zeitweisen Absenkung von Arbeitszeiten für Pflege- und Betreuungsaufgaben, Zeit für berufliche Bildung und flexible Altersübergänge verbindet.“

In der Binnensicht geht es der IG Metall beim Abgang des Organisationstalents Wetzel Gold. 2015 wird man wohl das fünfte Jahr in Folge ein Mitgliederwachstum verzeichnen, zeigte sich der scheidende Chef vor wenigen Tagen optimistisch. Ende 2014 hatte die Gewerkschaft 2,27 Millionen Mitglieder. Die Beiträge fließen auf dem Rekordniveau von mehr als 516 Millionen Euro, ohne dass große Streiks die Kassen und das Gewerkschaftsvermögen übermäßig belasten.

Organisationschef Rainer Gröbel konnte so rund sechs Millionen Euro für den Kongress in die Hand nehmen, inklusive eines großen Fests in der Frankfurter Alten Oper mit Sängerin Ina Müller als Stargast. Für einen möglichst papierlosen Gewerkschaftstag wurde zudem eine eigene App gestrickt, die alle Delegierten auf einem eigens überreichten Tablet-Computer nutzen können. Die Wahlen sollen bei allem digitalen Fortschritt aber nach wie vor mit Stimmzetteln abgewickelt werden, sagt Gröbel. Das sei irgendwie würdevoller.

 
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