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Augsburg
Ifo-Präsident: „Wir erwarten keine Rezession“
Ifo-Präsident Clemens Fuest glaubt, dass sich der Abschwung in der heimischen Industrie verlangsamt. Der Professor warnt vor einer Kapitalflucht aus Deutschland, wenn sich die SPD mit Steuererhöhungen durchsetzt.
Clemens Fuest sagt, dass es vor allem in einigen Kommunen in strukturschwachen Regionen einen Investitionsstau gibt.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | Clemens Fuest sagt, dass es vor allem in einigen Kommunen in strukturschwachen Regionen einen Investitionsstau gibt.
Stefan Stahl
 |  aktualisiert: 02.01.2020 02:10 Uhr
Frage: Herr Professor Fuest, die neue SPD-Doppelspitze will die Politik der „Schwarzen Null“ beenden und setzt sich damit für eine Lockerung der Schuldenbremse ein. Wohin würde ein solcher Ritt Deutschland führen?

Clemens Fuest: Diese Debatte zäumt das Pferd von hinten auf. Als Grund für die Lockerung der Schuldenbremse wird angegeben, es müsse mehr Raum für öffentliche Investitionen geben. Für Investitionen ist aber bereits heute mehr Geld da als ausgegeben werden kann. Die Hindernisse liegen in den Planungsverfahren, vor allem der intensiven Beteiligung der Anwohner. Wer mehr Investitionen will, muss diese Verfahren beschleunigen. Erst mehr Schulden zu machen und dann festzustellen, dass wir das Geld nicht sinnvoll unterbringen können, ist der falsche Weg.

Das SPD-Spitzenduo peilt auch eine radikale Wende in der Steuerpolitik an. Borjans und Esken haben etwa die SPD bewegt, sich für die Wiedereinführung der Vermögensteuer einzusetzen. Welche Folgen hätte so ein linkes Steuerpaket?

Fuest: Es würde eine große Kapitalflucht aus Deutschland einsetzen. Das Wachstum würde noch stärker sinken als es ohnehin der Fall ist, und Unternehmen würden neue Projekte eben im benachbarten Ausland auf den Weg bringen. Arbeitsplätze in Deutschland würden abgebaut.

Brauchen wir wirtschaftspolitisch mehr Gerhard Schröder und weniger Borjans und Esken?

Fuest: Man sollte den neuen SPD-Vorsitzenden die Chance geben, eine wirtschaftspolitische Agenda zu entwickeln, die besser ist als das, was sie bislang vorgetragen haben. Die SPD täte gut daran, die Erfolge der Ära Schröder nicht kleinzureden. Gleichzeitig muss es erlaubt sein, die Agenda-Reformen weiterzuentwickeln, denn die Welt verändert sich.

Borjans hat aber die Spendierhosen an und fordert ein „Jahrzehnt der Investitionen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro. Die Summe soll in die Kommunen fließen, in Bildung, die Bahn, die Digitalisierung und den Klimaschutz.

Fuest: Es ist seit langem bekannt, dass es notwendig ist, die digitale Infrastruktur in Deutschland besser auszubauen und die Bahn zu modernisieren. Beim Klimaschutz geht es eher darum, einen CO2-Preis sinnvoll einzuführen. Aber es ist falsch, sich allein auf öffentliche Investitionen zu konzentrieren. Wir brauchen auch gute Rahmenbedingungen für private Investitionen.

Woher rührt der deutsche Investitionsstau?

Fuest: Einen größeren Investitionsstau gibt es vor allem in einigen Kommunen, die in strukturschwachen Regionen liegen. Diese Kommunen richtig auszustatten ist vor allem eine Aufgabe der jeweiligen Bundesländer. Bei neuen Infrastrukturprojekten wie etwa Stromtrassen ist der Widerstand der Anwohner das Hauptproblem.

Deutschland ist in der Euro-Zone wirtschaftlich zurückgefallen. Besteht die Gefahr, dass wir wieder der kranke Mann Europas werden?

Fuest: Die deutsche Industrie steht vor einem tief greifenden Strukturwandel. Die Politik in Deutschland hat sich in den letzten Jahren vor allem auf das Verteilen von Wohltaten konzentriert und zu wenig darum, künftigen Wohlstand zu sichern. Hier ist ein Kurswechsel erforderlich.

Warum wächst die deutsche Wirtschaft nur noch minimal?

Fuest: Die aktuelle Konjunkturschwäche liegt vor allem an der Krise der Autoindustrie und dem weltweiten Rückgang der Nachfrage nach deutschen Exportprodukten. In einigen Sektoren kommt zunehmender Fachkräftemangel hinzu.

Bleibt der private Konsum die große konjunkturelle Stütze? Shoppt sich Deutschland aus der Krise?

Fuest: Da die Löhne recht kräftig steigen und die Beschäftigung vor allem im Dienstleistungssektor weiter wächst, bleibt die Konsumnachfrage hoch. Auf Dauer konsumieren die Menschen nur, wenn ihre Arbeitsplätze sicher sind. Dazu brauchen wir auch die Industrie. Wir erwarten 2020 keine technische Rezession. Der inländische Konsum hilft hier, aber eben nur kurzfristig. Der Ifo-Index ist zuletzt leicht gestiegen.

Dreht sich der Wind wieder, wenn der Brexit geordneter als gedacht über die Bühne geht und Trump keine Zölle auf deutsche Autoeinfuhren erhebt?

Fuest: Der Abschwung in der deutschen Industrie verlangsamt sich. Wir erwarten für 2020 eine leichte Zunahme des Wachstums im Vergleich zu 2019, aber keine kräftige Erholung. Die Risikofaktoren bleiben.

Untergangs-Propheten sind derzeit populär. Die Autoren Marc Friedrich und Matthias Weik etwa prophezeien in ihrem jüngsten Bestseller „den größten Crash aller Zeiten“. Schließlich drucke die Europäische Zentralbank weiter Geld und die Autoindustrie stecke in der Krise.

Fuest: Panikmache hilft niemandem. Die Politik der EZB hat mit der Krise der Autoindustrie nun wirklich nichts zu tun. Wir müssen die Herausforderungen der Digitalisierung und der Umstellung auf klimafreundliche Techniken meistern.

Doch selbst Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnt ja vor unerwünschten Nebenwirkungen einer extrem lockeren Geldpolitik. Auf Dauer könnte dies die Risiken für die Finanzstabilität erhöhen.

Fuest: Es ist sicher richtig, dass die lockere Geldpolitik der EZB unerwünschte und durchaus problematische Nebenwirkungen hat. Bei sehr niedrigen Zinsen können vergleichsweise kleine Zinsänderungen große Kursschwankungen an den Finanzmärkten auslösen. Die besonderen Schwächen der deutschen Banken haben aber andere Ursachen, unter anderem die mangelnde Bereitschaft zu Fusionen und Bankenschließungen.

Was muss in Deutschland passieren, um mehr Wachstum zu bekommen? Müssen wir Firmen – anders als Borjans und Esken fordern – entlasten?

Fuest: Es geht darum, Anreize für Unternehmen zu verbessern, in Deutschland zu investieren und steuerpflichtige Gewinne in Deutschland auszuweisen statt sie in Niedrigsteuerländer zu verlagern.

Brauchen wir eine Unternehmenssteuerreform in Deutschland? Merkel ist ja hier im Gegensatz zur SPD offen.

Fuest: Ja, die brauchen wir. In den letzten zehn Jahren haben viele Länder um uns herum die Unternehmenssteuern gesenkt, bei uns sind sie leicht gestiegen. Das untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, es wird immer weniger interessant, hier zu investieren. Das muss sich ändern.

Clemens Fuest
Clemens Fuest, 51, ist seit April 2016 Präsident des Münchner Ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung und damit Nachfolger von Hans-Werner Sinn. Von 2013 bis 2016 war der Ökonom Chef des ebenso renommierten Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung – kurz ZEW – in Mannheim.
 
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