Clemens Fuest: Diese Debatte zäumt das Pferd von hinten auf. Als Grund für die Lockerung der Schuldenbremse wird angegeben, es müsse mehr Raum für öffentliche Investitionen geben. Für Investitionen ist aber bereits heute mehr Geld da als ausgegeben werden kann. Die Hindernisse liegen in den Planungsverfahren, vor allem der intensiven Beteiligung der Anwohner. Wer mehr Investitionen will, muss diese Verfahren beschleunigen. Erst mehr Schulden zu machen und dann festzustellen, dass wir das Geld nicht sinnvoll unterbringen können, ist der falsche Weg.
Fuest: Es würde eine große Kapitalflucht aus Deutschland einsetzen. Das Wachstum würde noch stärker sinken als es ohnehin der Fall ist, und Unternehmen würden neue Projekte eben im benachbarten Ausland auf den Weg bringen. Arbeitsplätze in Deutschland würden abgebaut.
Fuest: Man sollte den neuen SPD-Vorsitzenden die Chance geben, eine wirtschaftspolitische Agenda zu entwickeln, die besser ist als das, was sie bislang vorgetragen haben. Die SPD täte gut daran, die Erfolge der Ära Schröder nicht kleinzureden. Gleichzeitig muss es erlaubt sein, die Agenda-Reformen weiterzuentwickeln, denn die Welt verändert sich.
Fuest: Es ist seit langem bekannt, dass es notwendig ist, die digitale Infrastruktur in Deutschland besser auszubauen und die Bahn zu modernisieren. Beim Klimaschutz geht es eher darum, einen CO2-Preis sinnvoll einzuführen. Aber es ist falsch, sich allein auf öffentliche Investitionen zu konzentrieren. Wir brauchen auch gute Rahmenbedingungen für private Investitionen.
Fuest: Einen größeren Investitionsstau gibt es vor allem in einigen Kommunen, die in strukturschwachen Regionen liegen. Diese Kommunen richtig auszustatten ist vor allem eine Aufgabe der jeweiligen Bundesländer. Bei neuen Infrastrukturprojekten wie etwa Stromtrassen ist der Widerstand der Anwohner das Hauptproblem.
Fuest: Die deutsche Industrie steht vor einem tief greifenden Strukturwandel. Die Politik in Deutschland hat sich in den letzten Jahren vor allem auf das Verteilen von Wohltaten konzentriert und zu wenig darum, künftigen Wohlstand zu sichern. Hier ist ein Kurswechsel erforderlich.
Fuest: Die aktuelle Konjunkturschwäche liegt vor allem an der Krise der Autoindustrie und dem weltweiten Rückgang der Nachfrage nach deutschen Exportprodukten. In einigen Sektoren kommt zunehmender Fachkräftemangel hinzu.
Fuest: Da die Löhne recht kräftig steigen und die Beschäftigung vor allem im Dienstleistungssektor weiter wächst, bleibt die Konsumnachfrage hoch. Auf Dauer konsumieren die Menschen nur, wenn ihre Arbeitsplätze sicher sind. Dazu brauchen wir auch die Industrie. Wir erwarten 2020 keine technische Rezession. Der inländische Konsum hilft hier, aber eben nur kurzfristig. Der Ifo-Index ist zuletzt leicht gestiegen.
Fuest: Der Abschwung in der deutschen Industrie verlangsamt sich. Wir erwarten für 2020 eine leichte Zunahme des Wachstums im Vergleich zu 2019, aber keine kräftige Erholung. Die Risikofaktoren bleiben.
Fuest: Panikmache hilft niemandem. Die Politik der EZB hat mit der Krise der Autoindustrie nun wirklich nichts zu tun. Wir müssen die Herausforderungen der Digitalisierung und der Umstellung auf klimafreundliche Techniken meistern.
Fuest: Es ist sicher richtig, dass die lockere Geldpolitik der EZB unerwünschte und durchaus problematische Nebenwirkungen hat. Bei sehr niedrigen Zinsen können vergleichsweise kleine Zinsänderungen große Kursschwankungen an den Finanzmärkten auslösen. Die besonderen Schwächen der deutschen Banken haben aber andere Ursachen, unter anderem die mangelnde Bereitschaft zu Fusionen und Bankenschließungen.
Fuest: Es geht darum, Anreize für Unternehmen zu verbessern, in Deutschland zu investieren und steuerpflichtige Gewinne in Deutschland auszuweisen statt sie in Niedrigsteuerländer zu verlagern.
Fuest: Ja, die brauchen wir. In den letzten zehn Jahren haben viele Länder um uns herum die Unternehmenssteuern gesenkt, bei uns sind sie leicht gestiegen. Das untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, es wird immer weniger interessant, hier zu investieren. Das muss sich ändern.