Die Couch wird zum Regiestuhl: Die Zuschauer haben beim Fernsehen so viel Einfluss wie nie. Denn die neue Generation der Smart-TVs bietet dank Internetverbindung und ordentlichen Prozessoren ein ungekanntes Online-Angebot an Spielfilmen und Kurz-Clips, Informationen und Unterhaltung. Die IFA zeigt: Das Fernsehen wird vielfältiger und unübersichtlicher. Die Vernetzung treibt den Wandel voran. „Internetfähigkeit wird für die Unterhaltungselektronik zum Standard“, erklärt Michael Schidlack, Technikexperte des Bitkom. Der IT-Branchenverband schätzt, dass bis Ende 2012 jeder vierte Haushalt in Deutschland einen Fernseher mit Netzzugang hat. Zwar schließt bislang nur jeder zweite das Gerät auch an; doch die Nutzung werde mit neuen Angeboten rapide zunehmen, glaubt Schidlack.
Jenseits der klassischen Sender gibt es ein riesiges Angebot. Da sind die Mediatheken der TV-Sender, die sich auf Geräten mit der Technologie HbbTV mit einem Knopfdruck aufrufen lassen; da sind Online-Videotheken wie Maxdome und Lovefilm, die auf immer mehr Geräten vorinstalliert sind; da sind Apps für Wetter, Nachrichten und Spiele; und da sind klassische Netzinhalte. Der Kampf um die Zeit der Zuschauer wird härter – diese sind nicht mehr allein auf die klassischen Sender angewiesen.
Fernsehen wird außerdem interaktiver – die Zuschauer können nicht nur glotzen, sondern mitmischen. Drei von vier Internetnutzern sind parallel mit dem Smartphone, Tablet oder Notebook online, wie eine Umfrage im Auftrag des Bitkom zeigt. Ein großer Teil tut dabei zwar Dinge, die nichts mit dem Programm zu tun haben (82 Prozent). Aber immerhin 30 Prozent informieren sich über die Sendungen, 23 Prozent tauschen sich in Chats oder sozialen Netzwerken über das Programm aus, ebenso viele recherchieren weitere Dinge zu den laufenden Sendungen. Und 13 Prozent rufen Zusatzangebote der Sender auf. Die neue Fernsehvielfalt lässt sich auf der IFA besichtigen: Die rote Taste für HbbTV findet auf immer mehr Fernbedienungen einen Platz. Die Hersteller bemühen sich, die bislang oft hakelige Verbindung zwischen Fernseher und anderen Geräten smarter zu machen – etwa mit Apps, die sich als Fernbedienung eignen oder Fotos und Videos auf den großen Bildschirm beamen. Und mit Nachrüstboxen wird der Fernseher zum vollwertigen Internetgerät – Sony etwa zeigt seinen Internet Player mit dem Betriebssystem Google TV samt einem Browser. Auch der chinesische Hersteller Hisense stellt neben einigen Smart-TV-Modellen eine Nachrüstbox mit Google TV vor. All das stellt die Zuschauer vor eine neue Herausforderung: Angesichts von Dutzenden klassischen TV-Sendern, Tausenden Filmen in Online-Videotheken, zahllosen Apps und YouTube-Kanälen den Überblick zu behalten und sich außerdem nicht in der Navigation zu verstricken. Die Hersteller müssten die Bedienung vereinfachen und standardisieren, sagt Klaus Böhm, Medienexperte beim Beratungsunternehmen Deloitte: „Denn erst mit einer reduzierten Komplexität werden sich die User dafür begeistern können.“ Neue Konzepte, die im Januar auf der CES vorgestellt wurden, werden auch auf der IFA zu sehen sein – etwa die Steuerung mit Fingergesten oder Sprache.
Die gute Nachricht für Verbraucher: Sie haben so viel Auswahl wie nie. Und wenn sie einen der smarten Fernseher kaufen wollen, müssen sie dafür nicht mehr viel ausgeben. In Deutschland werden in diesem Jahr deutlich mehr Flachbildgeräte verkauft als im Vorjahr – insgesamt 10,2 Millionen. Wegen des technischen Fortschritts und des scharfen Wettbewerbs auf dem global ausgerichteten Markt fallen aber die Preise stetig. Durchschnittlich 613 Euro kostet ein Flachbild-TV nur noch – 100 Euro weniger als noch vor drei Jahren.
TV-Boom zum Start der IFA
Das Geschäft mit Fernsehgeräten in Deutschland boomt zum Start der Technik-Messe IFA wie nie zuvor. Mit 10,2 Millionen verkauften Flachbildfernsehern in diesem Jahr werde mehr als jeder vierte Haushalt ein neues Gerät anschaffen, ergab eine Branchenstudie. Damit koppelt sich Deutschland deutlich von der Entwicklung in vielen anderen Ländern ab, wo das Geschäft unter anderem von der Euro-Schuldenkrise belastet wird. Die IFA selbst hat die Grenzen des Wachstums erreicht. Die Zahl der Aussteller stagniert. Bisher hätten sich 1439 Unternehmen angemeldet. 2011 kamen 1441 Aussteller auf das Gelände unter dem Funkturm. Zum Jahr 2014 will die Messe mit neuen Ausstellungsflächen mehr Platz haben, kündigte die Messegesellschaft an. Die IFA ist seit April ausgebucht. Sie ist kurz vor dem Weihnachtsgeschäft eine wichtige Ordermesse. Im vergangenen Jahr wurden Aufträge für mehr als 3,7 Milliarden Euro in Berlin abgeschlossen. Für das Publikum hat die IFA vom 31. August bis zum 5. September geöffnet. text: dpa