Auch wenn die Schlagbäume längst abgebaut sind und am Zollhäuschen kaum noch jemand seinen Pass zücken muss – ein Signal holt Reisende noch immer jäh aus wolkigen Träumen eines grenzenlosen Europa zurück: das Plingpling der SMS, die die Auslandsgebühren fürs Handy avisiert. Eigentlich sollte es damit Ende 2015 vorbei sein, so wollen es das Europäische Parlament und die EU-Kommission. Doch daraus wird wohl nichts werden.
Der zuständige EU-Ministerrat hat sich jedenfalls noch nicht auf einen Termin zur Abschaffung der sogenannten Roaminggebühren festgelegt. Stattdessen wollten die Mitgliedstaaten „2015 Zeit darauf verwenden, um zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen“, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig reichlich vage nach Beratungen in Brüssel. Wichtig sei, dass es nicht zu „Marktverzerrungen“ komme.
Erzwungene Gebührensenkung
Genau das befürchtet die Telekomregulierungsbehörde Berec in einer Stellungnahme für die EU und rät von der Abschaffung der Gebühren ab. Diese wäre „derzeit weder machbar noch praktisch umzusetzen“, heißt es in dem Mitte Dezember veröffentlichten Papier. Die Handytarife, Reise- und Konsummuster der EU-Bürger seien zu unterschiedlich.
Klar ist, dass sich Telefonanbieter gegen die erzwungene Gebührensenkung heftig wehren. „Die Preise für Inlandstelefonate und mobile Internetnutzung würden zwangsläufig steigen“, warnt vorsorglich der deutsche Branchenverband Bitkom. Damit würden normale Handynutzer zu Hause dafür zur Kasse gebeten, dass vor allem Geschäftsleute im Ausland billiger telefonieren und surfen können, meinen die Interessenvertreter.
Tatsächlich seien solche Preiseffekte bereits zu beobachten, berichtet Sprecher John Phelan vom Europäischen Verbraucherverband. Denn die Roaming-Gebühren sind auf Druck der EU in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken – nach Angaben der EU-Kommission seit 2007 um mehr als 80 Prozent.
Zuletzt mussten die Anbieter zum 1. Juli 2014 die Gebühr für Telefonate im EU-Ausland um fünf Cent zurücknehmen – von 24 auf 19 Cent plus Mehrwertsteuer. Eine SMS kostet seither für deutsche Kunden einschließlich Mehrwertsteuer in Europa höchstens 7,1 Cent statt 9,5 Cent. Der Preis für das Surfen im Internet sank um mehr als die Hälfte, von 53,5 auf 23,8 Cent pro Megabyte Daten.
Darauf hätten einige Telefongesellschaften reagiert, sagt Verbraucherschützer Phelan. Einzelne Anbieter versuchten, Einbußen wettzumachen, indem sie die Minuten oder die Datenmenge in ihren Paketangeboten reduzierten. Der Verbraucherverband hält solche Reaktionen für abwegig. Denn zum einen machten die Roaming-Gebühren nur einen Bruchteil der Einnahmen der Telefongesellschaften aus, und die seien ohnehin nicht verarmt, sagt Phelan. Zum anderen blockierten die Extrakosten einen riesigen Wachstumsmarkt – die Telekomanbieter schneiden sich demnach damit ins eigene Fleisch.
So argumentiert auch die EU-Kommission und verweist auf eine Umfrage unter 28 000 Bürgern. Demnach beschränken neun von zehn Verbrauchern im EU-Ausland aus Furcht vor der Preiskeule den Zugriff auf Dienste wie Facebook, jeder zweite nutzt auf Reisen grundsätzlich nicht mobil das Internet, jeder Vierte schaltet sein Handy komplett ab. Surfen, simsen und reden sie alle künftig angstfrei drauflos, warten für die Anbieter hübsche Geschäfte, meint Phelan.
Die Telekombranche glaubt offenbar nicht daran und klagt, man sei noch dabei, Vorschriften von 2012 umzusetzen, wonach sich Kunden unabhängig von ihrem Heimatvertrag einen Roaming-Anbieter wählen dürfen. Das koste die Branche EU-weit bereits 500 Millionen Euro, erklärt Bitkom. Darüber hinaus seien die Anbieter aufgerufen, ihre Netze für Milliardenbeträge auszubauen. „Diese Investitionskosten müssen zurückverdient werden können“, meint der Branchenverband.
Einheitliche Linie durchkreuzt
Im EU-Ministerrat finden die Bedenken genügend Gehör, um eine einheitliche Linie der 28 Länder zu durchkreuzen. Dort betont man die Schwierigkeiten: Wenn ein Bürger zu Hause nur eine Billigflatrate zahlt und in einem anderen EU-Land mit hohen Tarifen Urlaubsvideos hochlädt, sollen ihn die Einheimischen dann subventionieren? Welche Instanz sorgt für finanziellen Ausgleich? Alles kompliziert, alles ungelöst, heißt es. Statt Ende 2015 wird nun vorsichtig das Datum 2016 für ein Ende der Extragebühren ventiliert.
Dass Gegner die Abschaffung auf Dauer verhindern können, glauben Verbraucherschützer aber nicht. Auch EU-Vizekommissionspräsident Andrus Ansip drängt die Mitgliedsländer. Die künstlichen Gebührengrenzen hätten einfach keinen Platz im gemeinsamen Binnenmarkt, sagte Ansip kürzlich.